Das Echo spitzer Schreie liefert ihnen ein genaues Bild ihrer Umwelt – Fledermäuse „sehen“ gleichsam mit ihren Ohren, heißt es. Somit sind ihre Augen nutzlos geworden, könnte man meinen. Doch hat der Sehsinn bei den Fledertieren denn tatsächlich seine Bedeutung verloren? Auf dieses Thema hat uns Gerhard S. aufmerksam gemacht – vielen Dank dafür!
Was über die visuellen Fähigkeiten der geheimnisvollen Tiere der Nacht bekannt ist, weiß Stefan Greif vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen. „Im Englischen sagt man sogar sprichwörtlich ‚blind wie eine Fledermaus‘, sagt der Biologe. „Der Realität entspricht das aber nicht: Grundsätzlich besitzen alle Fledertiere funktionstüchtige Augen. Wie gut sie entwickelt sind und welche Bedeutung der Sehsinn für die Tiere hat, hängt allerdings stark von der Art ab. Bei den weltweit rund 1400 Spezies gibt es dabei eine enorme Bandbreite und interessante Besonderheiten“, sagt Greif.
Von wegen blind
Wie er betont, gibt es unter den Fledertieren sogar ausgesprochene Sehspezialisten: Die verschiedenen Flughundarten besitzen sehr leistungsfähige Augen. „Das liegt daran, dass sie abgesehen von einer speziellen Untergruppe kein Echoortungssystem zur Orientierung nutzen. Stattdessen verlassen sich die Flughunde auf ihre großen Augen, die ähnlich wie bei anderen Tieren der Nacht auch noch Dämmerlicht gut erfassen können“, sagt Greif. Im Vergleich dazu spielt bei den Fledermäusen der Sehsinn eher eine untergeordnete Rolle, was sich auch in der vergleichsweise geringen Größe ihrer Augen widerspiegelt. Unwichtig sind sie für die Tiere deshalb aber dennoch nicht, erklärt der Experte.
Auch die Augen der Fledermäuse können ihm zufolge Dämmerlicht gut erfassen: „Es ist bekannt, dass die Tiere die Echoortung mit ihrem Sehsinn kombinieren, wenn die Lichtverhältnisse es zulassen. Sie können dann Hindernisse oder Objekte noch besser erkennen, als wenn sie sich nur über die Echoortung orientieren“. Vermutlich nutzen einige Arten auch visuelle Merkmale der Landschaft zur weiträumigen Orientierung. Außerdem sind spezielle Sehfähigkeiten bei Fledermäusen bekannt: Bestimmte nektarfressende Arten der Tropen können UV-Licht wahrnehmen, haben Untersuchungen gezeigt. „Dadurch finden sie Blüten leichter, die diese Wellenlängen besonders stark reflektieren“, erklärt Greif.
Ein Sinn für die Polarisation des Lichts
Er selbst hat 2014 gemeinsam mit israelischen und britischen Kollegen über eine weitere erstaunliche Sehfähigkeit einer in Europa heimischen Fledermausart berichtet – des Großen Mausohrs (Myotis myotis). Aus den Experimenten der Forscher ging hervor, dass die Tiere das Polarisationsmuster des Lichts am Abendhimmel wahrnehmen können. Diese Information nutzen sie dann, um ihr Orientierungssystem zu kalibrieren, das sich grundsätzlich am Erdmagnetfeld der Erde ausrichtet. Zuvor war bekannt, dass einige Insekten und Vögel das Polarisationsmuster gleichsam als Kompass nutzen können. Durch ihre Versuche konnten Greif und seine Kollegen eine ähnliche Fähigkeit erstmals auch bei einem Säugetier belegen. In diesem Fall hat sich also ausgerechnet eine Fledermausart als besonders visuell begabt gezeigt.
Abschließend betont Greif, dass sich die Bedeutung des Sehsinns für die Fledermäuse auch in einem problematischen Aspekt widerspiegelt: Wie Studien der letzten Jahre gezeigt haben, leiden einige Fledermausarten unter der Lichtverschmutzung in der menschlichen Kulturlandschaft. Sie meiden Scheinwerferlicht, Laternen und Co – dadurch werden etwa Straßen zu Trennlinien in ihrem Lebensraum. „In Untersuchungen hat sich in diesem Zusammenhang gezeigt, dass rote Lichtfrequenzen weniger problematisch für die lichtscheuen Arten sind. Erfreulicherweise wird diese Erkenntnis nun bereits bei Projekten zum Schutz von Fledermäusen vor Lichtverschmutzung genutzt“, sagt Greif.
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