Manchmal ist bekanntlich kluges Warten angesagt: Menschen können unmittelbaren Versuchungen widerstehen, wenn sie wissen, dass sie dadurch später belohnt werden. Papageien sind zu dieser sogenannten Impulskontrolle ebenfalls fähig, dokumentiert nun eine abgewandelte Version des Marshmallow-Tests. Wie gut sich die cleveren Vögel selbst beherrschen können, hängt dabei von der Vogelart sowie der Fähigkeit ab, sich beim Warten abzulenken. Am diszipliniertesten zeigten sich dabei die afrikanischen Graupapageien, berichten die Kognitionsforscher.
Schon Anfang der 1970er Jahre hat der berühmt gewordene Marshmallow-Test verdeutlicht, dass sich der Mensch schon von Kindheit an diszipliniert zeigen kann. Dabei wurde vierjährigen Kindern jeweils ein einzelnes Stück der Süßigkeit vorgesetzt und dabei gesagt: „Du darfst diesen einen Marshmallow jetzt essen – wenn du allerdings noch ein bisschen wartest, dann bekommst du zwei“. Dabei zeigte sich, dass die jungen Probanden zur Impulskontrolle fähig sind, und auch, wie individuell unterschiedlich die Bereitschaft zum Belohnungsaufschub ausfallen kann. Diese Fähigkeit galt zunächst als typisch menschlich, denn Tiere schienen kaum in der Lage zu sein, einem unmittelbaren Futterreiz zu widerstehen. Doch mittlerweile sind Ausnahmen bekannt: Einige besonders intelligente Tierarten sind ebenfalls zu der disziplinierten Verstandesleistung fähig, geht aus Studien hervor.
In der aktuellen Untersuchung haben nun die Forscher um Auguste von Bayern vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen (MPIO) die Fähigkeit zur Impulskontrolle bei Papageienvögeln weiter ausgelotet. Eine Frage war dabei, inwieweit es artabhängige Unterschiede bei den Vertretern dieser intelligenten Vogelgruppe gibt. Deshalb verglichen die Forscher die Leistungen von drei Spezies aus Amerika und einer aus Afrika: An den Tests nahmen sechs Blaukehlaras, acht Große Soldatenaras, sechs Blaukopfaras und acht afrikanische Graupapageien teil.
Walnuss- statt Marshmallow-Test
Um die Fähigkeiten zur Selbstkontrolle zu erfassen, kam ein Konzept zum Einsatz, das in seinem Prinzip dem Marshmallow-Test entspricht. Den Vögeln wurden Sonnenblumenkerne – ein mäßig beliebtes Futter – auf einem Löffel durch eine kleine Öffnung in einem Fenster angeboten. Die Vögel konnten während des Versuchs allerdings durch das transparente Fenster sehen, dass es die Chance auf noch attraktivere Leckerbissen gab: Walnüsse. Sie lernten schließlich, dass sich die Apparatur nach einer gewissen Zeit weiterdreht und statt der Sonnenblumenkerne eine leckere Walnuss in ihre Reichweite befördert. Dabei begriffen die Vögel offenbar auch den Haken bei der Sache: Wenn sie sich über die Sonnenblumenkerne hermachten, stoppte die Drehscheibe sofort und es gab keine Walnuss.
Wie die Forscher berichten, waren schließlich alle gefiederten Probanden in der Lage, dem Verzehr des mäßig attraktiven Futters in einem gewissen Zeitrahmen zu widerstehen, um auf das bevorzugte Futter zu warten. Testdurchläufe mit verschiedenen Wartezeiten zeigten dabei allerdings, dass es deutliche Unterschiede bei der Geduld der Tiere gab: Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die afrikanischen Graupapageien im Durchschnitt knapp 30 Sekunden auf ihr bevorzugtes Futter warten konnten, verglichen mit 20 Sekunden bei den großen Soldatenaras, 12 Sekunden bei Blaukopfaras und nur 8 Sekunden bei Blaukehlaras. Auch innerartlich gab es eine erhebliche Bandbreite bei der Geduld: Die Bestleistung erzielte ein Graupapagei namens Sensei – er konnte bis zu 50 Sekunden lang warten.
Artabhängiges Gedulds- und Bewältigungs-Verhalten
Bei den Versuchen beobachteten die Forscher zudem ein interessantes Verhalten, das in ähnlicher Form auch bei Menschen oder beispielsweise Hunden beobachtet wurde: Während die Vögel auf die Walnüsse warteten, zeigten sie Bewältigungs- oder Ablenkungsverhalten. “Wir vermuten, dass die Vögel dadurch den Impuls unterdrücken, das von ihnen nicht bevorzugte Futter zu fressen. So können sie das Warten auf das von ihnen bevorzugte Futter besser bewältigen“, erklärt Auguste von Bayern. Die jeweiligen Verhaltensweisen variierten dabei je nach Vogelart: Die Graupapageien gingen vor dem Fenster auf und ab, die Ara-Arten knibbelten hingegen an herumliegenden Samenhülsen oder machten sich an anderen Gegenständen zu schaffen. Je mehr Zeit ein Vogel mit diesen ablenkenden Verhaltensweisen verbrachte, desto erfolgreicher war er auch beim Warten, berichten die Wissenschaftler.
“Unsere Ergebnisse deuten insgesamt darauf hin, dass die Selbstkontrollfähigkeiten zwischen den Arten und einzelnen Individuen stark variieren“, sagt Erstautor Matthew Petelle. „Wir vermuten, dass dies mit Unterschieden in der relativen Gehirngröße oder der allgemeinen Intelligenz zusammenhängt“. Es gibt auch Hinweise darauf, dass dabei die Ernährungsweise oder die soziale Organisation der verschiedenen Arten einen Einfluss haben könnte. Selbstbeherrschung ist möglicherweise bei Vogelarten stärker ausgeprägt, die mehr Zeit in ihre Futtersuche investieren müssen oder die in einem komplexeren sozialen Umfeld leben, vermuten die Wissenschaftler.
Doch was dies betrifft, besteht nun weiterer Untersuchungsbedarf. Denn bisher ist nur wenig darüber bekannt, wie die untersuchten Papageienarten mit ihrer natürlichen Umgebung und anderen Papageien in freier Wildbahn interagieren, betonen die Forscher. Künftige Untersuchungen zum Sozialverhalten, der Nahrungssuche und der Gehirngröße könnten somit möglicherweise mehr Licht auf den Einfluss dieser Faktoren auf die Selbstbeherrschung bei Papageien werfen.
Quelle: Max-Planck-Institut für Ornithologie, Fachartikel: Animal Cognition, doi: 10.1007/s10071-021-01565-6