Wurde bislang über die Auswirkungen der industriellen Fischerei diskutiert, ging es meist um den Einfluss auf die Ökosysteme der Meere. Nun zeigen Forscher in einer Modellstudie, dass die massive Entnahme von Fischen auch eine große Bedeutung für die weltweiten geochemischen Stoffkreisläufe hat. Demnach ist herabsinkender Fischkot eine wichtige Kohlenstoffsenke und spielt überdies eine Rolle für die Sauerstoffverfügbarkeit in großen Tiefen. Obwohl die Ergebnisse mit großen Unsicherheiten behaftet sind, liefern sie eine neue Perspektive für zukünftige Klimamodelle.
Ozeane spielen eine entscheidende Rolle für den globalen Kohlenstoffkreislauf. Sie speichern 45-mal mehr CO2 als die Atmosphäre und 20-mal so viel wie Vegetation und Böden an Land. Dafür sind zwei Kohlenstoffpumpen verantwortlich: Zum einen löst sich CO2 in kaltem Meerwasser und wird durch die Zirkulation in tiefere Wasserschichten befördert. Zum anderen wandeln photosynthetisch aktive Organismen im Oberflächenwasser CO2 in Biomasse um. Sie werden wiederum von anderen Lebewesen konsumiert. Durch die Ausscheidungen und Kadaver dieser Tiere sinkt Kohlenstoff auf den Meeresgrund und ist dort für mehrere Jahrhunderte dem Kreislauf entzogen. Ohne diese biologische Pumpe läge die CO2-Konzentration in der Atmosphäre Schätzungen zufolge 150 bis 200 parts per million (ppm) höher. Zum Vergleich: vorindustriell lag die Konzentration bei 280 ppm, aktuell bei 415 ppm.
Globales Modell mariner Ökosysteme
Wenn Forscher sich bisher mit der biologischen Kohlenstoffpumpe beschäftigt haben, legten sie den Fokus vor allem auf das Zusammenspiel von Phytoplankton, Zooplankton und Bakterien. Fische dagegen, die in Bezug auf ihre Biomasse einen geringeren Gesamtanteil haben, wurden bislang in diesem Zusammenhang wenig beachtet. Ein Team um Daniele Bianchi von der University of California in Los Angeles weist nun mit einer Modellstudie darauf hin, dass Fische wahrscheinlich einen größeren Einfluss auf die Stoffkreisläufe haben als bisher angenommen.
Die Forscher erstellten ein globales Modell der marinen Ökosysteme vor und nach Beginn der industriellen Fischerei. Dabei bezogen sie verschiedene Schätzungen zu den weltweiten Fischbeständen heute und in der Vergangenheit mit ein und modellierten, welchen Einfluss die Fische, ihre Nahrungsaufnahme, ihre Ausscheidungen und ihre auf den Grund sinkenden Kadaver auf die Kohlenstoffspeicherung und Sauerstoffverfügbarkeit in den Meeren haben.
Fischkot als Kohlenstoffspeicher
„Unser Ansatz geht notwendigerweise von vielen Annahmen aus, und die Art der verfügbaren Daten erfordert eine Reihe von Vereinfachungen“, schreiben die Forscher. Allein die Frage, wie viel Biomasse die Fische weltweit ausmachen, unterliegt großer Unsicherheit. Schätzungen liegen im Bereich von weniger als einer Gigatonne bis zu 50 Gigatonnen. Indem die Forscher verschiedene Schätzungen miteinander abglichen und mit weiteren verfügbaren Daten zu Fischfängen und marinen Nahrungsnetzen kombinierten, kamen sie zu dem Ergebnis, dass vor Beginn der industriellen Fischerei etwa 3,3 Gigatonnen Fische der Gewichtsklasse zwischen zehn Gramm und 100 Kilogramm in den Meeren lebten.
Nach Schätzungen der Forscher konsumierten die Fischbestände damals rund zwei Prozent der globalen Primärproduktion, produzierten aber zehn Prozent des biologischen Materials, das in Form von Kot auf den Meeresgrund sank und dort für Jahrhunderte gespeichert wurde. „Da Fischfäkalien um Größenordnungen schneller sinken als kleine Partikel, wird der erwartete Beitrag von Fischfäkalien in der Tiefe immer bedeutender“, so die Forscher. Mit einer Sinkgeschwindigkeit von bis zu einem Kilometer pro Tag erreicht der Fischkot also schneller den Meeresgrund, sodass auf dem Weg dorthin weniger abgebaut wird – ein entscheidender Beitrag bei der Speicherung von Kohlenstoff.
Biomasse der Fische halbiert
Diesen vorindustriellen Zeitraum verglichen Bianchi und seine Kollegen mit den 1990er Jahren, in denen die bislang höchsten Fangquoten verzeichnet wurden, bevor sie durch Verordnungen in vielen Ländern der Welt begrenzt wurden. „In den 1990er Jahren hatten sich die Biomasse und die Zyklusraten fast halbiert“, schreiben sie. „Das lässt darauf schließen, dass die biogeochemischen Auswirkungen der Fischerei mit denen des anthropogenen Klimawandels vergleichbar sind.“ Durch die massive Entnahme von Fischen sanken also weniger Fischfäkalien und -kadaver auf den Meeresgrund. Somit fiel eine wichtige Kohlenstoffsenke teilweise weg.
Auch auf den Sauerstoffgehalt in der Tiefsee hatte die industrielle Fischerei wahrscheinlich einen Einfluss. Wenn Mikroorganismen am Meeresgrund die Fischfäkalien verstoffwechseln, benötigen sie dafür Sauerstoff. Bei einer geringeren Menge an Fäkalien verbrauchen sie weniger Sauerstoff. Die durch den Klimawandel steigenden Temperaturen haben dafür gesorgt, dass weniger Sauerstoff im Meerwasser gelöst ist – und hätten womöglich ohne die Fischerei noch deutlichere Auswirkungen auf die Sauerstoffverfügbarkeit gehabt: „Der Rückgang der Fischbiomasse und damit der Veratmung könnte einen wesentlichen Teil der Wirkung überdeckt haben“, so die Forscher.
„Stimulierende Hypothesen“
„Die Ergebnisse der Studie zeigen zum ersten Mal auf, welchen Beitrag die Fische für die biogeochemischen Kreisläufe im Ozean leisten“, kommentiert Nicolas Gruber, Leiter des Instituts für Biogeochemie und Schadstoffdynamik an der ETH Zürich, der nicht an den Forschungen beteiligt war. Die Datengrundlage sei zwar mit vielen Unsicherheiten behaftet, doch die grundlegenden Implikationen seien dennoch spannend und wichtig. „Ich betrachte diese Abschätzungen als gut fundierte und stimulierende Hypothesen, die nun in weitergehenden Studien verifiziert oder falsifiziert werden müssen“, so Gruber.
Quelle: Daniele Bianchi (University of California, Los Angeles) et al., Science Advances, doi: 10.1126/sciadv.abd7554