Elstern ( Pica pica) gehören zu den intelligentesten Vögeln in unseren Parks, Gärten und Städten. Sie zeigen ein komplexes Sozialverhalten, merken sich den Standort von Futtervorräten und können sogar zählen, wie Experimente zeigen. Die klugen Vögel erkennen sich sogar im Spiegel: Macht man ihnen einen Fleck auf das Gefieder, den sie erst im Spiegelbild entdecken, dann putzen sie nicht den vermeintlichen Artgenossen im Spiegel, sondern zielsicher die bei ihnen befleckte Stelle im Federkleid. Dennoch sind die schwarzweißen Vögel bei uns Menschen eher unbeliebt: Sie gelten als aggressiv, laut und als fiese Räuber von Eiern und Jungen anderer Singvögel. In Wirklichkeit besteht ein Großteil ihres Speiseplans aus Insekten und anderen Wirbellosen. Fest mit unserem Bild von der Elster verknüpft ist zudem ihre Lust am Diebstahl glänzender Objekte. Schon der italienische Opernkomponist Gioachino Rossini nannte einen seiner Opern “Die diebische Elster” und im Internet kursieren unzählige Videos von Elstern, die beim Stehlen von Feuerzeugen oder anderen Objekten gefilmt wurden.
Um herauszufinden, was an solchen anekdotischen Beobachtungen dran ist, testeten Toni Shephard und ihre Kollegen von der University of Exeter die “Diebeslust” der Elstern in einem Experiment. Versuchsteilnehmer waren dabei freilebende Elstern, die auf dem Universitätsgelände lebten und daher an menschliche Gegenwart gewöhnt waren. Die Forscher sammelten glänzende Metallschrauben, Ringe und kleine Stückchen von Aluminiumfolie, strichen aber die Hälfte davon mit matter, dunkelblauer Farbe an, um ihnen den Glanz zu nehmen. Für die Tests legten die Wissenschaftler an acht Standorten zunächst ein kleines Häufchen mit Nüssen als Lockmittel auf den Boden, davon jeweils 30 Zentimeter entfernt je ein Häufchen mit den glänzenden und den matt angestrichenen Objekten. Sie beobachteten dann, wie die Elstern sich verhielten.
Misstrauen statt Anziehung
Das Ergebnis war eindeutig: In 64 Tests schnappte sich nur zwei Mal eine Elster eines der glänzenden Objekte. Dieses – einen Silberring – ließ der Vogel aber sofort wieder fallen. Alle anderen Elstern ignorierten die Häufchen mit den glänzenden und auch mit den matten Objekten, wie die Forscher berichten. Ähnliche Tests mit in Gefangenschaft gehaltenen Elstern ergaben das gleiche Bild. “Wir haben keinen Hinweis auf eine besondere Anziehung der Elstern zu glänzenden Objekten gefunden”, konstatiert Shephard. Stattdessen riefen die Objekte eher Misstrauen bei den Vögeln hervor: Sie wurden aus der Ferne beäugt und gemieden. Eine solche sogenannte Neophobie – die Angst vor Neuem – ist für viele Wildtiere typisch. “Das demonstriert, wie schlau die Elstern sind: Statt unwiderstehlich von glänzenden Objekten angezogen zu werden, entscheiden sie sich, in sicherer Distanz zu bleiben, wenn diese Objekte neu und ihnen unbekannt sind”, sagt Koautorin Natalie Hempel de Ibarra.
Woher aber kommt dann das Bild von der “diebischen” Elster? Immerhin wurden ja einige dieser Vögel durchaus schon auf frischer Tat ertappt. Die Forscher betonen, dass es sich dabei um Einzelfälle als um eine generelle Neigung handelt. Als sehr intelligente Tiere sind die Rabenvögel nunmal sehr neugierig und überwinden daher manchmal ihre Angst vor Neuem. “Die Menschen merken sich natürlich eher, wenn dann eine Elster doch einmal ein glänzendes Objekt aufhebt”, sagt Shephard. Denn das bestätigt das gängige Bild. Die vielen Fälle, in denen der Vogel ein solches Objekt liegenlässt und meidet, fallen dagegen keinem groß auf. “Es scheint daher so, als ob der Volksglauben in diesem Falle eher das Ergebnis von Verallgemeinerung und Anekdoten ist als von Beweisen”, konstatieren die Forscher. Höchste Zeit also, dass die Elstern von ihrem zu Unrecht bestehenden Ruf als Diebe befreit werden.