Der Hund ist mehr als ein zahmer Wolf, verdeutlicht eine Studie: Sogar Welpen, die kaum an Menschen gewöhnt sind, verstehen uns intuitiv besser und sind zutraulicher als Wolfsjunge, die mit viel menschlichem Kontakt aufgewachsen sind. Darin spiegelt sich wider, wie sich im Rahmen der Domestikation das Sozialverhalten sowie die zwischenartliche Kommunikationsfähigkeit der Vierbeiner für den Umgang mit uns verändert hat, erklären die Wissenschaftler.
Sie befolgen nicht nur simple Kommandos – Hunde können in komplexer Weise menschliche Signale begreifen, dokumentieren bereits viele Studien: Sie orientieren sich dabei an Blicken sowie an Zeigegesten und können sogar unsere Mimik und Stimmung korrekt interpretieren. Dieses ausgeprägte Verständnis über die Artgrenze hinweg ist eine erstaunliche Fähigkeit, die „unsere besten Freunde“ gegenüber anderen Tieren auszeichnet. Doch inwieweit besaßen auch schon die Vorfahren der Hunde diese Begabung? Bisher bleibt unklar, inwieweit sich die Kognition bei der Entwicklung vom Wolf (Canis lupus) zum Haushund (Canis lupus familiaris) verändert hat und ab welchem Entwicklungsstadium sich spezielle Verhaltensweisen abzeichnen.
Um dieser Frage nachzugehen, haben die Forscher um Hannah Salomons von der Duke University in Durham das Verhalten von 44 Hunde- und 37 Wolfswelpen untersucht. Die Tiere wurden dazu an einen unterschiedlich intensiven Kontakt mit dem Menschen gewöhnt: Die Wolfswelpen wurden mit der Hand gefüttert, schliefen jede Nacht in den Betten ihrer Betreuer und wurden schon wenige Tage nach der Geburt fast rund um die Uhr von ihnen betreut. Im Gegensatz dazu lebten die Hundewelpen allein mit ihrer Mutter sowie ihren Wurfgeschwistern zusammen und hatten nur sehr wenig menschlichen Kontakt.
Tief verwurzelte Begabung
Im Alter von 5 bis 18 Wochen führten die Forscher dann Tests mit den Versuchstieren durch und analysierten das generelle Verhalten der Jungtiere gegenüber Menschen. Bei einem Experiment versteckten sie ein Leckerli in einer von zwei Schalen und gaben dann den Hunde- beziehungsweise Wolfswelpen einen Hinweis, der ihnen helfen sollte, das Futter zu finden. In einigen Versuchen zeigten die Forscher dazu in die richtige Richtung oder blickten auf den Behälter, in dem das Futter versteckt war. Bei einer weiteren Version legten sie einen kleinen Holzklotz neben das richtige Futtergefäß – eine Art des Hinweises, die die Welpen noch nie zuvor gesehen hatten.
Wie die Wissenschaftler berichten, ging aus den grundlegenden Verhaltensanalysen der Versuchstiere zunächst hervor: Die Hundewelpen gingen spontan viel kontaktfreudiger auf Fremde zu als die eigentlich eher an Menschen gewöhnten Wolfsjungen. “Die Hundewelpen kommen angelaufen, wenn man ihr Gehege betritt, wollen auf dich draufklettern und dir das Gesicht abschlecken. Die Wolfswelpen rennen hingegen eher in die Ecke und verstecken sich”, veranschaulicht Salomons.
Bei den Verhaltensexperimenten wurden die Unterschiede dann noch deutlicher: Die Hundewelpen konnten die menschlichen Hinweise deutlich besser nutzen als die jungen Wölfe, berichten die Wissenschaftler. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie richtig reagierten, war unterm Strich etwa doppelt so hoch wie bei den gleichaltrigen Wolfswelpen, obwohl diese viel mehr Zeit mit Menschen verbracht hatten. Außerdem beobachteten die Wissenschaftler: Wenn die Wolfswelpen Futter in einem versiegelten Behälter vorfanden, versuchten sie das Problem meist selbst zu lösen. Die Hundewelpen suchten sich hingegen spontan menschliche Hilfe: Sie stellten Augenkontakt her und vermittelten mit ihrem Verhalten die Botschaft: „Kannst du mir da helfen?“
Ein Produkt der Domestikationsgeschichte
Das bedeutet allerdings nicht, dass Hunde intelligenter sind als Wölfe, betonen die Wissenschaftler: In Tests anderer kognitiver Fähigkeiten, wie dem Gedächtnis oder der motorischen Impulskontrolle, erwiesen sich die Hunde- und Wolfswelpen als gleichermaßen clever. Die kognitiven Unterschiede betreffen demnach nur die Fähigkeit, die Botschaften des Menschen zu erfassen und zu nutzen. “Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, schlau zu sein. Tiere bringen Intelligenzleistungen hervor, die ihnen dabei helfen, in ihrem jeweiligen Lebensraum und bei ihrer Lebensweise erfolgreich zu sein”, erklärt Salomons.
Genau dies stand vermutlich auch am Anfang der Wolf-Hund-Domestikationsgeschichte, sagen die Wissenschaftler: Es erscheint plausibel, dass sich irgendwann in der Zeit vor 12.000 bis 40.000 Jahren bestimmte Wolfsgruppen zunehmend an den Menschen anpassten, da sie von ihren Essensresten profitieren konnten. Individuen, die weniger Scheu zeigten und das menschliche Verhalten besonders gut interpretierten konnten, hatten dabei wohl Vorteile, und somit wurden die entsprechenden genetischen Veranlagungen intensiv weitergeben. Über die Generationen hinweg könnten sich dadurch diese Verhaltensmerkmale immer mehr verstärkt haben.
So entwickelten sich dann schließlich irgendwann auch Freundschaften über die Artgrenzen hinweg: Canis lupus avancierte damit zur Form Canis lupus familiaris, die uns bis heute begleitet. “Unsere Studie untermauert, dass das soziale Genie von Hunden ein Produkt der Domestikation ist”, resümiert Seniorautor Brian Hare von der Duke University. In weiteren Untersuchungen planen sie nun auszuloten, inwieweit die gezielte Zucht die sozialen Fähigkeiten der Hunde später weiter beeinflusst hat. Außerdem könnten Untersuchungen verschiedener heutiger Wolfspopulationen beleuchten, ob es bei ihnen grundlegende Verhaltensunterschiede gibt.
Quelle: Duke University, Fachartikel: Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2021.06.051