Eine Kindheit in sozialer Kälte beschleunigt das Altern ? nicht nur psychisch, sondern auch körperlich: Vernachlässigte Kinder aus rumänischen Heimen haben bereits im Alter von sechs bis zehn Jahren verkürzte Chromosomenenden, ein Zeichen für die vorzeitige Alterung ihres Erbguts. Das hat ein internationales Forscherteam durch Erbgutanalysen von 109 Heimkindern nachgewiesen. Die genauen biologischen Ursachen für den Effekt einer unglücklichen Kindheit und seine Auswirkungen auf das spätere Leben sind noch unklar. Studien weisen aber darauf hin, dass kurze Telomere, wie die Enden der Chromosomen genannt werden, nicht nur die Lebensspanne verringern, sondern auch mit kognitiven Störungen und einem erhöhten Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs verbunden sind.
Die Erbinformationen der höheren Lebewesen sind im Kern einer jeden Körperzelle in einzelnen Einheiten, den Chromosomen, zusammengefasst. Die Enden dieser Strukturen bezeichnet man als Telomere. Sie enthalten keine Bauanweisungen für Proteine oder Steuermoleküle, bestehen aber aus denselben Bausteinen wie die Gene selbst ? den Nukleotiden. Beim Kopieren der DNA während der Zellteilung kommt es an den Enden neuer DNA-Stränge immer zu einem Verlust einiger Nukleotide. Ohne die Pufferfunktion der Telomere hätte das zur Folge, dass bei jeder Zellteilung einige Gene verlorengehen würden. Genau darin besteht nach einer der gängigsten Theorien der Grund für die Zellalterung: Bei jeder Zellteilung geht ein Teil des Telomers verloren. Dies ist anfangs unproblematisch, da das Telomer keine Erbinformationen trägt. Ist es nach einer bestimmten Anzahl von Zellteilungen aber sozusagen aufgebraucht, werden die eigentlichen Gene angegriffen und es kommt zur Bildung von schadhaften Zellen.
Für ihre Studie haben Stacy Drury und ihre Kollegen von der Tulane University in New Orleans DNA-Proben von 62 Jungen und 47 Mädchen aus rumänischen Waisenhäusern gesammelt. Diese Einrichtungen sind berüchtigt für ihre soziale Kälte und die Vernachlässigung der Pfleglinge. Die Analysen ergaben, dass Kinder, die sich seit mindestens fünf Jahren in den Heimen befanden, deutlich kürzere Telomere besaßen, als es für ihr Alter angemessen wäre. Der Effekt war bei den Mädchen dabei stärker ausgeprägt als bei den Jungen, wie die Forscher feststellten.
?Wir wollen nun herausfinden, ob die Telomere sich wieder erholen können, wenn ein Kind aus einem Waisenhaus in eine liebevolle Pflegefamilie kommt, oder ob das frühe Unglück sich dauerhaft im Erbgut der jungen Menschen widerspiegelt?, sagt Charles Nelson, einer der beteiligten Wissenschaftler, der für das Bukarester Kinder-Frühförderungs-Projekt ?Early Intervention Project? in Rumänien arbeitet.
Die Wissenschaftler um Stacy Drury von der Tulane University in New Orleans präsentieren ihre Studie im Fachmagazin ?Molecular Psychiatry”, Bd. 16, Vol. 6. wissenschaft.de ?
Martin Vieweg