Die letzten gemeinsamen Vorfahren aller Wale und Delfine waren Pflanzenfresser, lebten aber bereits im Wasser. Erst danach hat sich die räuberische Lebensweise einiger Wale und der Delfine entwickelt. Das schließen Forscher aus einer Analyse von über 600 Merkmalen heute lebender sowie ausgestorbener Arten. Vor allem der 2007 entdeckte Indohyus, ein 48 Millionen Jahren altes Fossil, stellte die bislang herrschende Hypothese in Frage, wonach einige Vorfahren der Wale zuerst Fleisch gefressen und ihren Lebensraum erst danach ins Wasser verlegt hätten. Offenbar hat sich die Evolution der Tiere umgekehrt vollzogen.
Die Forscher werteten genetische Informationen sowie Daten zu Verhalten und Körperbau von 81 Arten aus, wobei über die Hälfte bereits ausgestorben sind. Daraus wollen die Forscher einen sogenannten phylogenetischen Baum erstellen, der die Verwandtschaftsverhältnisse und die Reihenfolge der Abspaltungen einzelner Arten widerspiegelt. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie sich die Evolution einer Gruppe vollzogen haben könnte. Die Wissenschaftler interessiert aber nur die einfachste Möglichkeit. Diese ist am wahrscheinlichsten, da die Evolution meist keine Umwege macht und kann mit Statistikprogrammen ermittelt werden.
Oft stellt die Entdeckung eines neuen Fossils alle bisher kursierenden Thesen auf den Kopf. Dies ist auch bei den Walen der Fall: Bevor Archäologen in Kaschmir auf den Indohyus stießen, galt der sogenannte Mesonyx, ein fleischfressendes Landsäugetier, als der letzte direkte Vorfahre der Wale und Delfine. Nun müssen die Wissenschaftler diese Sicht revidieren: Die neuen Untersuchungen zeigen, dass Wale und Delfine vom Indohyus abstammen und der Mesonyx seinen Platz früher in der Entwicklungsgeschichte dieser Linie hat. Der Indohyus ernährte sich von Pflanzen und lebte zwar mehrheitlich im Wasser, besaß aber noch die Möglichkeit, sich an Land fortzubewegen.
Die Unterscheidung zwischen Fleisch- und Pflanzenfressern ist wichtig, da sich die Wale heute in Barten- und in Zahnwale aufteilen, zu denen auch die Delfine gehören. Die Zahnwale ernähren sich von Fisch oder Fleisch, während die Bartenwale Plankton aus dem Wasser filtern. Aufgrund physiologischer Merkmale können Forscher einigen Fossilien eindeutige Verhaltensweisen zuweisen. Beim Indohyus gelang dies aufgrund der Zahnformen und der typischen Gehörknöchelchen, die Meeressäuger von landlebenden Tieren unterscheiden. Er besaß als bisher erstes Tier diese eindeutige Anpassung ans Wasser zusammen mit einer auf Pflanzen basierenden Ernährungsweise.
Michelle Spaulding (Columbia Universität in New York) et al.: PLoS ONE (doi: 10.1371/journal.pone.0007062). ddp/wissenschaft.de ? Martina Bisculm