Lange, bizarr wirkenden Kieferzangen: Dieses Merkmal zeichnet alle Arten der fünf bekannten Gruppen von Schnappameisen aus. Um sich zu verteidigen oder Beute zu fangen, können sie diese Mandibeln blitzartig zuschnappen lassen. Es handelt sich um eine der rasantesten Bewegungen im Tierreich. Untersuchungen zufolge beruht der Schnapp-Mechanismus prinzipiell darauf, dass Energie in einem Spann-Element im Kopf der Insekten wie in einem Bogen gespeichert wird. Bei offener Kiefer-Stellung bleibt dieses Element blockiert, erst wenn es durch einen Reiz ausgelöst wird, schnappen die Zangen blitzartig zu.
Schnapp-System für flinke Beute
Diese Grundprinzip nutzen auch die Vertreter der nun erstmals untersuchten Untergruppe der Myrmoteras. Doch wie die Forscher um Fredrick Larabee vom National Museum of Natural History in Washington herausgefunden haben, handelt es sich um ein einzigartiges Patent dieses Schnapp-Systems. Sein Zweck ist klar: Die Vertreter der Myrmoteras-Ameisen jagen in den Wäldern Südostasien ausgesprochen flinke Beute – Springschwänze. Fühlen sich diese Winzlinge bedroht, schleudern sie sich mittels einer Sprunggabel blitzartig durch die Luft davon. Um diese Beute zu schnappen, laufen die Myrmoteras-Ameisen zunächst mit 280 Grad weit geöffneten Kiefern umher. Stoßen sie auf einen Springschwanz, sausen die Fänge zusammen und hindern den Hüpfer an der Flucht.
Larabee und seine Kollegen haben diesen Ablauf und die verantwortlichen Mechanismen nun erstmals genau unter die Lupe genommen. Um die Aktion im Detail zu verfolgen, nahmen sie die Ameisen mit Hochgeschwindigkeitskameras auf. Sie berechneten, dass die Kieferzangen von Myrmoteras-Ameisen eine Geschwindigkeit von etwa 80 Kilometer pro Stunde erreichen. Der Beuteschlag der Ameise dauert dadurch nur etwa eine halbe Millisekunde – etwa 700 Mal schneller als ein Wimpernschlag. Wie im Fall der bereits zuvor untersuchten Vertreter der Schnappkieferameisen ist damit klar: Eine Muskelkontraktion kann diese Leistung nicht erbringen – es muss ein Spann-Mechanismus vorliegen.
Beispiel für parallele Evolution
Um den Schnapp-Apparat zu untersuchen, blickten die Forscher mittels Mikro-Computertomographie in die Köpfchen von Myrmoteras-Ameisen. Auf diese Weise konnten sie ein Modell entwickeln, wie der Mechanismus funktioniert. Vor dem Schlag komprimiert sich demnach eine Art Federelement im hinteren Bereich des Ameisenkopfes. Bei einem Reiz gibt dann ein Auslöser-Muskel dieses Element frei und damit auch die gespeicherte Energie – der Kiefer schnappt zu. “Das Spannende ist, dass die Anordnung der Muskeln und wie die Kiefer geschlossen werden, eindeutig anders strukturiert ist wie bei anderen Schnappkieferameisen”, resümiert Larabee.
Ihm zufolge können die Systeme nicht auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgehen. Es handelt sich demnach um ein Beispiel eines Phänomens, das als parallele oder auch konvergente Evolution bezeichnet wird: Unabhängig voneinander entwickelten sich bei Lebewesen ähnliche Lösungskonzepte bei vergleichbarer Lebensweise. “Die rasanten Kiefer erfüllen bei allen Schnappkieferameisen ähnliche Aufgaben, aber die Myrmoteras-Ameisen haben sie in einer völlig unabhängigen Weise entwickelt”, so Larabee.
Mittels Mikro-CT-Scannern wollen er und seine Kollegen nun auch weiterhin die unterschiedlichen Schnapp-Patente der verschiedenen Vertreter dieser bizarren Ameisen-Kategorie untersuchen. Konkret wollen sie dabei herausfinden, welche Strukturen mit der Schnapp-Geschwindigkeit und -Leistung zusammenhängen.