Mit dem Hintergrund verschmelzen – dieses Konzept war auch schon in der kreidezeitlichen Natur angesagt, belegen skurrile Bernsteinfossilien: Wie „Wölfe im Schafspelz“ lauerten vor etwa 100 Millionen Jahren offenbar raffiniert getarnte Insektenlarven auf Beute. Um sich unsichtbar zu machen, imitierte ihr Äußeres perfekt den Bewuchs auf den Baumstämmen in ihrem Lebensraum: Lebermoos.
Um gierigen Blicken zu entgehen beziehungsweise Opfer nicht zu verscheuchen, besitzen viele Tierarten Farben, Zeichnungen oder Formen, die sie mit ihrer Umwelt verschwimmen lassen. Einige Insektenarten haben dieses Konzept auf die Spitze getrieben. Der Fachausdruck für dieses Tarnverfahren heißt Mimese. Die eindrucksvollsten Beispiele bieten die sogenannten Wandelnden Blätter: Diese Vertreter der Gespenstschrecken lassen sich durch ihre Körperform und Zeichnung kaum von pflanzlichen Strukturen unterscheiden. Ähnliches galt offenbar auch schon für die kreidezeitlichen Wesen, von denen nun Forscher der Chinesischen Akademie der Wissenschaften berichten.
Konserviert in fossilem Harz
Die perfekt konservierten Überreste der beiden Insektenlarven wurden in Bernsteinen aus Myanmar entdeckt. Vor etwa 100 Millionen Jahren hatte sie ein Tropfen Harz eingeschlossen und sie anschließend in einen „Gruß aus der Kreidezeit“ verwandelt. Man hätte die Einschlüsse leicht für ein Stückchen Lebermoos halten können, wenn den Forschern nicht die feinen Beinchen und Fühler aufgefallen wären, die aus den pflanzlich wirkenden Strukturen hervorragen.
Wie die Forscher berichten, waren die Wesen grün gefärbt und besaßen speziell verbreiterte Körperanhänge, die sie aussehen ließen wie Lebermoos. Von weiteren Funden ist bekannt, dass diese urtümlichen Gewächse in dem damaligen Lebensraum verbreitet waren. Es handelt sich um eine der ältesten Landpflanzen der Evolutionsgeschichte. Auch heute noch besiedeln Lebermoosarten unterschiedliche Ökosysteme der Erde. Ihre skurrilen Bewohner aus der Ära der Dinosaurier gibt es allerdings nicht mehr.
Überraschendes Konzept bei Florfliegenlarven
Wie die detaillierten Untersuchungen der Bernsteinfossilien zeigten, handelte es sich bei den „wandelnden Lebermoosen“ der Kreidezeit um Larven von Vertretern der Florfliegen (Chrysopidae). Eine bei uns häufige und bekannte Art ist die Grüne Florfliege Chrysoperla carnea, die sich durch ihre grünen netzartigen Flügel auszeichnet. Ihre Larven wirken dagegen recht rabiat: Sie werden als Blattlauslöwen bezeichnet, da sie mit ihren zangenförmigen Mundwerkzeugen Jagd auf Pflanzenparasiten machen.
Viele der räuberischen Larven von Florfliegen sind auch dafür bekannt, sich zu tarnen. Interessanterweise allerdings nicht durch ihre Körperformen, sondern durch „Kostüme“: Sie tragen Partikel aus ihrer Umwelt mit sich herum, die sie sich gezielt auf den Rücken platzieren. Gleichsam als wandelnde Müllhäufen getarnt, verstecken sie sich vor ihrer Beute und auch vor ihren Feinden. Auch dieses Konzept ist schon alt, haben Funde von kreidezeitlichen Bernsteinfossilien bereits gezeigt: Die Larven einiger Vertreter der Florfliegen tarnten sich demnach schon damals mit Dreck.
Doch im Fall der nun entdeckten Wesen war das nicht der Fall. Sie repräsentieren damit das erste Beispiel für Florfliegenlarven, die sich allein durch Mimese tarnten, berichten die Forscher. Offenbar lebten die „wandelnden Lebermoose“ auf der bewachsenen Rinde der Bäume des einstigen burmesischen Bernsteinwaldes. Durch ihr raffiniertes Äußeres blieben sie sicherlich sowohl von ihren Beutetieren als auch von ihren Feinden oft unbemerkt.