Dass dem Klimaschutz die Zeit davonläuft, ist nichts Neues. Je länger effektive Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen verzögert werden, desto teurer und schwieriger wird es, den Klimawandel aufzuhalten und drastische Klimafolgen zu verhindern. “Das kommende G-20-Treffen in Hamburg ist der perfekte Moment für die Regierungschefs, sechs Meilensteine in ihre Diskussionen darüber einzubinden, wie eine widerstandsfähige, wohlhabende, inklusive und verknüpfte globale Wirtschaft gesichert werden kann”, konstatieren Christiana Figueres, ehemalige Leiterin der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) und ihre Kollegen.
“Die Klima-Mathematik ist brutal klar”
Um die Diskussion anzustoßen und Impulse zu geben, haben Figueres und ihre Kollegen konkrete Vorschläge dazu erarbeitet, was sich die Welt in sechs Sektoren der Wirtschaft bis 2020 als Ziel setzen sollte. Wie die Forscher erklären, ist der Zeitpunkt 2020 deshalb wichtig, weil die USA in diesem Jahr rechtlich die Möglichkeit zum Austritt aus dem Pariser Klimavertrag haben.
Noch wichtiger als die politischen seien aber die physikalischen Erwägungen. Die jüngste Forschung zeigt: Wenn wir das Verringern der CO2-Emissionen bis in die Zeit deutlich nach 2020 verzögern, dann wird es schwer, den weltweiten Anstieg der Temperaturen auf weniger als zwei Grad zu begrenzen. Ein Überschreiten dieser Grenze wäre jedoch riskant, weil eine Reihe von Kippelementen im Erdsystem, etwa die großen Eisschilde, dann destabilisiert werden könnten.
“Die Klima-Mathematik ist brutal klar: Die Welt kann zwar nicht innerhalb von wenigen Jahren geheilt werden, aber wenn wir nichts tun, dann können wir sie durch Fahrlässigkeit bereits bis 2020 tödlich verwunden”, sagt Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut.
Was muss bis 2020 erreicht werden?
Die sechs Meilensteine der Experten für die Zeit bis 2020 beginnen mit dem Energiesektor. Hier sei das Ziel eine Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren an der globalen Energieversorgung auf 30 Prozent, so die Forscher. Außerdem keine Genehmigungen für neue Kohlenkraftwerke mehr und die schrittweise Stilllegung der alten Kraftwerke.
Im Transportsektor müsste der Marktanteil der Elektrofahrzeuge an den Neuwagenverkäufen auf 15 Prozent weltweit gesteigert werden – gegenwärtig liegt er bei rund einem Prozent. Die Treibstoffeffizienz für LKW und andere Nutzfahrzeuge muss um 20 Prozent steigen, außerdem sollte die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel in den Städten verdoppelt werden. Im Flugverkehr sollte eine Senkung der Treibhausgas-Emissionen um 20 Prozent erreicht werden.
Bei der Landnutzung sehen die Wissenschaftler die Ziele vor allem in der Aufforstung und dem Kampf gegen Bodenerosion. “Zurzeit machen die Nettoemissionen durch Entwaldung und veränderte Landnutzung zwölf Prozent der globalen Emissionen aus”, berichten die Forscher. Innerhalb der nächsten Dekade müsse dies auf Null gesenkt werden. Dazu könnten nachhaltigere Landwirtschafts-Praktiken beitragen.
Bei der Infrastruktur müssten sich Städte bis 2020 das klare Ziel stecken, ihre Gebäude und Infrastruktur bis 2050 komplett zu dekarbonisieren und dafür rund 300 Milliarden US-Doller jährlich zur Verfügung stellen. Pro Jahr sollten zudem drei Prozent der Gebäude zu Nullemissionshäusern oder Passivenergiehäusern umgerüstet werden.
Die Industrie muss bis 2020 Pläne entwickeln und publizieren, wie sie ihre Emissionen bis 2050 um die Hälfte reduzieren wollen. Ansatzpunkte wären eine Steigerung der Effizienz, möglicherweise eine Sequestrierung des CO2 und eine Senkung des Energiebedarfs. Im Finanzsektor wird im Jahr 2020 im Idealfall eine Billion US Dollar jährlich für den Klimaschutz mobilisiert – sowohl durch den Privatsektor als auch Regierungen und Banken. Zudem tragen sogenannte Grüne Wertpapiere dazu bei, Klimaschutzbemühungen zu stärken.
Große Transformation
“Diese Ziele klingen im besten Falle idealistisch, im schlechtesten Fall unrealistisch”, räumen die Forscher ein. “Aber wir leben in einem Zeltalter exponentieller Transformation. Daher denken wir, dass eine Konzentration auf diese Ziele auch den Erfindungsreichtum anfeuern wird.” Sie sind zuversichtlich, dass sowohl der technologische Fortschritt als auch das politische Momentum einen Punkt erreicht haben, der den Beginn der “großen Transformation zur Nachhaltigkeit” ermöglicht.
Entschlossenes Handeln bis 2020 ist dabei notwendig, aber natürlich nicht hinreichend, betonen die Wissenschaftler. Es müsse die Richtung vorgeben, um dann jedes Jahrzehnt die CO2-Emissionen zu halbieren. So wie das legendäre Mooresche Gesetz, demzufolge sich die Rechenkraft von Computerprozessoren ungefähr alle zwei Jahre verdoppelt, könnte das “Karbon-Gesetz” eine sich selbst erfüllende Prophezeiung sein, die Innovation und Marktkräfte mobilisiert, so Schellnhuber. “Das wird dann nicht mehr zu stoppen sein – aber nur, wenn wir jetzt die Welt in Bewegung setzen.”
Quelle: Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Fachartikel: Nature, doi: 10.1038/546593a