Wir sprechen beim Gießen mit unseren Blumen oder umarmen Bäume im Wald: Manchmal könnte man meinen, der Mensch sehe Pflanzen als seinesgleichen. Tatsächlich ist dieser Gedanke gar nicht so abwegig. Denn selbst in der Wissenschaft gibt es Experten, die Pflanzen eine Art Bewusstsein zusprechen. Diese Theorie ist allerdings hoch umstritten – und Forscher liefern nun erneut Argumente gegen diese Annahme. Demnach ist die Biologie der Pflanzen viel zu simpel für die Entwicklung eines Bewusstseins und eine Vermenschlichung somit unangebracht.
Pflanzen besitzen anders als Tiere keine Nerven und kein Gehirn. Trotzdem bescheinigen manche Menschen diesen Organismen eine besondere Form der Intelligenz. Sie glauben: Blumen und Bäume haben ein Bewusstsein, können Gefühle entwickeln und Schmerzen empfinden. Auch ein erstaunlich gutes Gedächtnis wird den Pflanzen mitunter attestiert. Schließlich scheinen sich einige von ihnen zum Beispiel vergangene Kälteperioden merken zu können und ihren Blühzeitpunkt danach zu richten. Doch lässt sich aus Beobachtungen wie diesen tatsächlich schließen, dass auch Pflanzen denkende und fühlende Wesen sind? Über diese Frage wird seit Jahren kontrovers debattiert. Im noch relativ jungen Forschungsfeld der Pflanzen-Neurobiologie beschäftigen sich Wissenschaftler inzwischen ernsthaft mit pflanzlichen Synapsen und der pflanzlichen Intelligenz. Klassische Pflanzenphysiologen lehnen deren Schlussfolgerungen allerdings in der Regel ab. Wer hat Recht?
Zu simpel zum Denken und Fühlen
Ein Forscherteam um Lincoln Taiz von der University of California in Santa Cruz unterstützt mit einer Veröffentlichung nun diejenigen, die an der Existenz eines Pflanzenbewusstseins zweifeln. In ihrer Argumentation stützen sie sich auf eine neue Hypothese von Todd Feinberg und Jon Mallat über die Evolution des Bewusstseins. Der Neurowissenschaftler und der Evolutionsbiologe haben die Gehirnanatomie und funktionelle Komplexität sowie das Verhalten einer Vielzahl von Tieren analysiert und auf dieser Basis Kriterien definiert, die für die Entwicklung eines Bewusstseins notwendig sind. Die einzigen Tiere, die diese mindestens notwendigen Kriterien in Bezug auf ihre Hirnstrukturen und -funktionen erfüllen, sind demnach die Wirbeltiere, die Arthropoden und die Kopffüßer.
“Die Ergebnisse dieser Analyse bedeuten, dass es auch Tiere gibt, die kein Bewusstsein haben. Angesichts dessen scheint klar, dass Pflanzen – die keine Neuronen, geschweige denn Gehirne besitzen – ebenfalls keines haben”, konstatiert Taiz. “Die Anatomie der Pflanzen lässt sich noch nicht einmal entfernt mit der für ein Bewusstsein nötigen Hirnkomplexität vergleichen. Wir bewerten die Wahrscheinlichkeit für ein Bewusstsein bei Pflanzen daher mit null.” Wie Taiz und seine Kollegen bestätigen, gibt es auf den ersten Blick zwar durchaus Parallelen zwischen den Nervensystemen bei Tieren und bestimmten, pflanzlichen Strukturen. So nutzen auch Pflanzen elektrische Signale, um Reize weiterzuleiten und Prozesse in ihrem Körper zu steuern. Doch egal ob sie ihre Blätter zusammenrollen oder Abwehrmechanismen gegen Schädlinge in Gang setzen: Solche Reaktionen mögen zwar aussehen wie bewusste Handlungen, es sind dem Team zufolge aber genetisch kodierte Programme.
Kontraproduktive Vermenschlichung
Ein beliebtes Beispiel für angeblich bewusste Reaktionen bei Pflanzen ist die Mimose: Berührt man die Pflanze oder lässt sie fallen, klappt sie unwillkürlich ihre Blätter zusammen. Doch je häufiger der immer selbe Vorgang mit der Mimose wiederholt wird, desto schwächer wird diese Abwehrreaktion – bis die Pflanze schließlich gar nichts mehr mit ihren Blättern tut. Sie scheint sich an den Reiz gewöhnt zu haben. Könnte es sich hierbei um eine sogenannte Habituation handeln – und damit um eine einfache Form des Lernens? Taiz und seine Kollegen halten diese Schlussfolgerung für voreilig. Wie auch bei ähnlichen Experimenten mit Erbsen fehle es an nötigen Kontrollversuchen. Außerdem könne es sich ebenso gut um eine reine sensorische Anpassung handeln. “Das muss nichts mit Lernen zu tun haben”, sagt der Forscher.
Er und seine Kollegen hoffen, dass weitere Untersuchungen die vielen offenen Fragen rund um die Biologie der Pflanzen klären helfen. Das Ergebnis steht für sie aber ohnehin schon fest: Eine Vermenschlichung von Blume, Baum und Co ist nicht angebracht. “Die größte Gefahr dieses Anthropomorphismus ist, dass sie die Objektivität des Wissenschaftlers torpediert”, erklärt Taiz. Auch Diskussionen über moralische und ethische Aspekte rund um den Umgang mit Pflanzen und die Etablierung von “Pflanzenrechten” seien in diesem Zusammenhang kontraproduktiv. “Ein wissenschaftliches Verständnis der Natur erfordert einzig und allein, dass wir die Wahrheit suchen”, so das Fazit des Teams.
Quelle: Lincoln Taiz (University of California, Santa Cruz) et al., Trends in Plant Science, doi: 10.1016/j.tplants.2019.05.008