Von der einst großen Familie der Nashörner sind heute fünf Arten erhalten geblieben, die alle durch Wilderei und Vernichtung ihres Lebensraumes stark bedroht sind. Eine neue Studie deckt nun anhand von Genomanalysen auf, wie die heute lebenden Arten sowie drei ausgestorbene Arten miteinander verwandt sind. Zudem zeigt sie, dass die genetische Vielfalt der Nashörner schon gering war, lange bevor menschliche Einflüsse die Tiere dezimierten. Das könnte eine positive Nachricht für Erhaltungsbemühungen sein – auch wenn die Vielfalt nie so gering war wie heute.
Die Familie der Nashörner entstand vor rund 55 bis 60 Millionen Jahren und umfasste einst mehr als hundert Arten, die über Afrika, Eurasien, Nord- und Mittelamerika verbreitet waren. Einige davon zählten zu den größten Landsäugetieren, die je auf der Erde lebten. Heute gibt es noch fünf Nashornarten: Das Breitmaul- und das Spitzmaulnashorn in Afrika, die beide zwei Hörner haben, sowie in Asien das ebenfalls zweihörnige Sumatra-Nashorn und die einhörnigen Panzer- und Java-Nashörner.
Ausbreitung dank Landbrücke
In welchem Verwandtschaftsverhältnis diese Arten zueinander und zu ausgestorbenen Vertretern stehen, war lange umstritten. Die sogenannte Horn-Hypothese ging davon aus, dass die wichtigste Abgrenzung zwischen einhörnigen und zweihörnigen Arten verläuft. Die geographische Hypothese dagegen besagte, dass die Hauptabgrenzung zwischen den asiatischen und den afrikanischen Spezies verläuft. Um diese Frage zu klären, hat ein Team um Shanlin Liu von der Chinesischen Landwirtschaftlichen Universität in Peking das Genom der fünf lebenden Nashornarten sowie von drei ausgestorbenen Arten untersucht und verglichen. Dazu nutzten die Forscher hochauflösende DNA-Sequenzierungen, die vollständiger und detailreicher sind als bisherige Genomdaten.
Das Ergebnis: „Wir haben gezeigt, dass der Hauptzweig im Lebensbaum der Nashörner zwischen den geografischen Regionen, Afrika und Eurasien, verläuft und nicht zwischen Nashörnern mit einem oder zwei Hörnern“, berichtet Co-Autor Love Dalén vom Zentrum für Paläogenetik in Stockholm. Die afrikanischen und eurasischen Linien trennten sich demnach vor etwa 16 Millionen Jahren. „Die Aufspaltung erfolgte nach der Entstehung einer Landbrücke zwischen der afro-arabischen und der eurasischen Landmasse vor etwa 20 Millionen Jahren“, so die Forscher. „Wir vermuten, dass die Landbrücke eine Ausbreitung mit anschließender Entstehung neuer Arten ermöglichte, wie es auch für viele andere Spezies gut dokumentiert ist.“
Kleiner Genpool
Bei ihrer Analyse stellten Liu und seine Kollegen zudem fest, dass alle Nashörner, auch die ausgestorbenen, im Vergleich zu anderen Säugetieren eine sehr geringe genetische Vielfalt aufweisen. „In gewisser Weise bedeutet dies, dass die geringe genetische Vielfalt, die wir bei den heutigen Nashörnern sehen, die alle vom Aussterben bedroht sind, teilweise eine Folge ihrer Biologie ist“, erklärt Dalén. Bisher war man davon ausgegangen, dass die geringe genetische Vielfalt der Nashörner nur darauf zurückzuführen ist, dass die Populationen durch menschliche Einflüsse innerhalb kurzer Zeit stark zurückgegangen sind und Inzucht zugenommen hat.
Doch auch wenn dieser Effekt ebenfalls eine wichtige Rolle spielt, ist er den neuen Erkenntnissen zufolge nicht der einzige. „Alle acht Arten wiesen in den letzten zwei Millionen Jahren entweder einen kontinuierlichen, aber langsamen Rückgang der Populationsgröße oder kontinuierlich kleine Populationsgrößen über längere Zeiträume auf“, sagt Co-Autor Mick Westbury von der Universität Kopenhagen. „Kontinuierlich kleine Populationsgrößen könnten darauf hindeuten, dass Nashörner im Allgemeinen an eine geringe Vielfalt angepasst sind.“
Hoffnung für den Artenschutz
Normalerweise häufen sich im Genom von Populationen, die einen zu kleinen Genpool haben, mit der Zeit schädliche Mutationen an, die das Überleben der Art gefährden. Auch bei heutigen Nashörnern fanden die Forscher einzelne solcher Mutationen, zum Beispiel in einem Gen, das für die Entwicklung und Funktion der Augen wichtig ist. „Diese Mutation könnte zu den bekanntermaßen schlechten Sehfähigkeiten der Nashörner beitragen“, so die Forscher. Insgesamt wiesen die untersuchten Genome allerdings deutlich weniger schädliche Mutationen auf, als angesichts des kleinen Genpools und häufiger Inzucht zu erwarten gewesen wäre.
„Dies könnte eine positive Nachricht für den Artenschutz sein, da es bedeutet, dass die jüngsten Rückgänge weniger Auswirkungen auf die genetischen Aspekte der Lebensfähigkeit der Populationen hatten als bisher angenommen“, schreiben die Forscher. „Wir stellen jedoch auch fest, dass die heutigen Nashörner eine geringere genetische Vielfalt und ein höheres Maß an Inzucht aufweisen als unsere historischen und prähistorischen Nashorngenome”, sagt Dalén. „Dies deutet darauf hin, dass der durch Jagd und Lebensraumzerstörung verursachte Rückgang der Populationen in jüngster Zeit Auswirkungen auf die Genome hatte.“
Die Forscher hoffen, dass ihre Studie einen Beitrag zur Erhaltung der Nashörner leisten kann. „Jetzt wissen wir, dass die geringe Vielfalt, die wir bei den heutigen Individuen beobachten, nicht auf eine Unfähigkeit zur Erholung hinweist, sondern ein natürlicher Zustand des Nashorns ist“, sagt Westbury. „Wir können unsere Erhaltungsprogramme besser darauf ausrichten, die Populationsgröße zu erhöhen und nicht die individuelle genetische Vielfalt.“
Quelle: Shanlin Liu (China Agricultural University, Peking) et al., Cell, doi: 10.1016/j.cell.2021.07.032