Bienen, Ameisen und Wesen gelten als soziale Tiere, die selbstlos für ihren Staat arbeiten – aber nur ihren eigenen. Doch einige Feldwespen-Arten unterstützen nicht nur ihre eigene Kolonie, sondern sogar ihre weiter entfernten Verwandten, wie Forscher beobachtet haben. Demnach babysitten die Arbeiterinnen Larven auch in benachbarten Nestern. Damit investieren sie in den Teil der Gene, die diese “Cousinen” in sich tragen.
Tiere haben natürlicherweise den Instinkt, sich fortzupflanzen und so ihre Gene weiterzugeben. Diesem Prinzip scheinen die Staaten von Ameisen, Bienen und Co. auf den ersten Blick zu widersprechen. Denn in diesen eusozialen Gemeinschaften legt lediglich die Königin Eier und die Arbeiterinnen sind unfruchtbar. Doch evolutiv gesehen ist dieser extreme Altruismus von Vorteil. Weil Königin und Arbeiterinnen Schwestern sind, tragen alle Jungtiere einen Großteil der Gene auch jeder Arbeiterin in sich.
Warum helfen Wespen in anderen Nestern?
Doch der Altruismus reicht bei einigen sozialen Insekten sogar über die engste Verwandtschaft hinaus, wie nun Forscher neotropischen Feldwespen der Gattung Polistes beobachten konnten. Bei diesen hilft ein Großteil der Arbeiterinnen nicht nur in ihrer eigenen Kolonie, sondern sogar bei der Aufzucht von Bruten in benachbarten Nestern. Wie dieses Verhalten evolutiv vorteilhaft sein kann, haben nun Forscher um Patrick Kennedy von der University of Bristol analysiert. „Die Tatsache, dass Feldwespen in Mittel- und Südamerika bei anderen Kolonien helfen, ist wirklich eigenartig, wenn man bedenkt, dass die meisten Wespen, Ameisen und Bienen extrem feindselig gegenüber Außenstehenden sind“, erläutert Kennedy.
Nach Ansicht der Wissenschaftler kommen mehrere Erklärungen für dieses Verhalten in Frage. So könnte die Nachbarschaftshilfe die Chance erhöhen, dass den Wespen-Arbeiterinnen zu einem späteren Zeitpunkt selbst geholfen wird. Andererseits könnte das Investment in mehrere Kolonien mit weniger eng verwandten Artgenossen auch ein evolutiver Vorteil sein, wenn ein Nest etwa von Raubtieren zerstört wird. Zudem stellten die Forscher die Hypothese auf, dass bei einer großen die Anzahl an Arbeiterinnen im eigenen Nest manche „nutzlos“ werden und sie deshalb in weniger verwandten Kolonien helfen, die mehr Pflege benötigen.
Um ihre Hypothesen zu prüfen, beobachtete das Forscherteam 20.000 Wespenlarven und ihre pflegenden Arbeiterinnen der Art Polistes canadensis in verschiedenen Kolonien, die im Umfeld des Panamakanals lebten. Dabei verglichen die Wissenschaftler das Verhalten der Arbeiterinnen in Nestern unterschiedlicher Größe und kombinierten ihre Feldbeobachtungen mit mathematischen Modellen, in denen sie die Entwicklungen der Larven in den Brutzellen dokumentierten.
Überangebot an Arbeiterinnen
Es zeigte sich: Mit steigender Anzahl der Koloniemitglieder im eigenen Nest kam es häufiger vor, dass die Arbeiterinnen ihre Kolonie verließen und in einem fremden Nest aushalfen. Das führen die Forscher darauf zurück, dass es in großen Kolonien tatsächlich zu einem Überangebot an Hilfe kommt und einzelne Wespen dort nicht für die Aufzucht gebraucht werden. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Arbeiterwespen zu Hause überflüssig werden können“, resümiert Kennedy. „Eine Wespe in einer Kolonie mit wenigen Larven, aber vielen anderen Arbeiterinnen wird fast nutzlos: Am besten ist es, wenn sie die Larven anderer Verwandter aufpäppelt.“ Denn dann überleben insgesamt mehr Wespenkolonien und somit auch die weniger verwandten Nachkommen der Arbeiterinnen in den anderen Nestern.
“Indem sie entfernteren Verwandten helfen, die bedürftiger sind, nebenan leben und weniger Pfleger haben, können die Arbeiterinnen insgesamt mehr Kopien ihrer Gene weitergeben“, erklärt Kennedys Kollege Andy Radford. “Diese Wespen können sich wie wohlhabende Familienmitglieder verhalten, die ihren Cousins zweiten Grades unter die Arme greifen“, ergänzt Kennedy. „Wenn man nicht mehr viel tun kann, um seiner unmittelbaren Familie zu helfen, kann man sich der Großfamilie zuwenden.” So steigern diese Feldwespen ihre Fitness also indirekt, indem sie auch in die Nachkommen investieren, die weniger ihrer Gene tragen. „Wir glauben, dass ähnliche Prinzipien des sinkenden Nutzens die scheinbar paradoxen Verhaltensweisen des Altruismus bei vielen anderen sozialen Tieren erklären könnten“, vermutet Radford.
Quelle: University of Bristol, Fachartikel: Nature Ecology & Evolution, doi: s41559-020-01382-z