Video: Die nordamerikanischen White-Throated Sparrows singen “O-oh sweet Canada, Canada, Canada”, heißt es. Doch dieses Gesangselement hat sich offenbar verändert. (Credit:Scott M. Ramsay)
Die meisten Vögel sind bei ihrem arttypischen Gesang konservativ – doch nun berichten Biologen über eine erstaunliche Ausnahme: Was die „kanadischen Spatzen“ von den Dächern pfeifen, hat sich in den letzten 20 Jahren gewandelt. Ein neuer Stil hat sich über 3000 Kilometer weit von West nach Ost ausgebreitet und den traditionellen Gesang des White-Throated Sparrows ersetzt. Dies geht aus der Auswertung von Aufnahmen der Gesänge dieser Sperlingsvögel im Rahmen eines bürgerwissenschaftlichen Projekts hervor. Bisher können die Forscher allerdings nur darüber spekulieren, was die neue Tonfolge so „pfiffig“ macht.
„Was für ein komischer Gesang!“ Diese Feststellung bildete vor rund 20 Jahren die Grundlage der aktuellen Studie: Der Biologe Ken Otter war vom Osten Kanadas nach British Columbia im Westen gezogen und wunderte sich über den Gesang der dortigen White-Throated Sparrows (Zonotrichia albicollis). Eine typische Strophe dieser nordamerikanischen Sperlingsvögel ist in Kanada bekannt, denn es heißt, sie singen: “O-oh sweet Canada, Canada, Canada”. “Als ich nach British Columbia zog, stellte ich fest, dass die Vögel dort etwas sangen, das untypisch für das klassische Lied war”, sagt Otter. Wie er erklärt, umfassen die drei abschließenden Elemente beim traditionellen Gesang jeweils drei Einzeltöne – deswegen die lautmalerische Umschreibung “Canada”. Bei der Variante in British Columbia bestehen sie hingegen nur aus zwei Noten.
Citizen-Science liefert Daten
Soweit wäre diese Feststellung eigentlich wenig ungewöhnlich gewesen, denn es ist bekannt, dass es innerhalb von Vogelarten regionale Dialekte geben kann. Diese Gesangstraditionen bleiben aber in der Regel für lokale Populationen typisch und breiten sich nicht aus und werden schließlich zu einer Norm für die ganze Art. Doch genau das ist offenbar im Fall der White-Throated Sparrows passiert, wie aus Daten hervorgeht, die der Biologe von der University of Northern British Columbia und seine Kollegen seit 2004 gesammelt haben.
Die Wissenschaftler nutzten dabei ein Netzwerk, in das neben Biologen auch Hobby-Vogelkundler in ganz Nordamerika Aufnahmen von Vogelgesängen hochladen. So konnten sie der Frage nachgehen, wie verbreitet die Liedvariante mit dem ungewöhnlichen Ende bei den White-Throated Sparrows ist. So zeigte sich: Der Stil ist nicht nur für die Westseite der Rocky Mountains typisch, sondern auch im Osten und er breitete sich offenbar aus. “2004 haben wir erstmals die Dialektgrenze erfasst und sie etwa in der Mitte der Provinz Alberta festgestellt”, sagt Otter. “2014 sang dann allerdings schon jeder Vogel in Alberta den westlichen Dialekt und wir sahen, wie er in Populationen auftauchte, die bis nach Ontario reichten. Das bedeutet, er kam bereits 3000 Kilometer von seinem Ursprung entfernt vor”, berichtet der Biologe.
Erstaunliche Ausbreitung
Wie aus weiteren Untersuchungen hervorging, hat das Zugverhalten der Vögel wahrscheinlich diese weite Ausbreitung ermöglicht. Auswertungen von kleinen Sendern zeigten, dass die Tiere aus British Columbia in Regionen der südlichen USA überwintern, die auch von Vögeln aus dem Osten Kanadas angeflogen werden. Dort könnten sie den neuen Stil von ihren Artgenossen aufgeschnappt haben, vermuten die Wissenschaftler. “Wir wissen, dass die Vögel in den Überwinterungsgebieten singen, sodass die jungen Männchen möglicherweise neue Gesangstypen aufnehmen, wenn sie mit Vögeln aus anderen Dialektgebieten überwintern. So können sie bestimmte Gesangstypen lernen und sie in neuen Gebieten etablieren”, vermutet Otter.
Wie er und seine Kollegen betonen, ist das Ausmaß der Ausbreitung allerdings höchst erstaunlich. “Soweit wir wissen, ist dies beispiellos – es gibt bisher keine andere Studie, die eine solche Ausbreitungsdynamik eines Liedtyps dokumentiert”, so Otter. Warum die Vögel den neuen Stil so bereitwillig übernehmen und der alte völlig verschwindet, ist bislang allerdings unklar. Es sei aber möglich, dass die Weibchen des White-Throated Sparrows „Exotisches“ interessant finden, sagen die Forscher.
“Frühere Studien haben gezeigt, dass Vogelweibchen normalerweise dazu neigen, den lokalen Gesangstyp zu bevorzugen. Aber bei den White-Throated Sparrows könnte das anders sein – vielleicht mögen die Weibchen Lieder, die in ihrer Umgebung nicht typisch sind”, sagt Otter. „Wenn das der Fall ist, hat jedes Männchen, das einen neuen Gesangstyp singen kann, einen großen Vorteil”. Inwieweit dieser Erklärungsansatz zutrifft, wollen die Vogelkundler nun durch weitere Untersuchungen klären.
Quelle: Cell Press, Fachartikel: Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2020.05.084