Eine tierische Klimafolge mit Rückkopplungseffekt: Die Biber „nagen“ am Permafrostboden des Nordens, berichten Forscher. Die fleißigen Nager breiten sich durch die Erwärmung in Alaska rasant aus und errichten in ihren neuen Lebensräumen immer mehr Stauseen. Dies könnte das Auftauen der Permafrostböden beschleunigen, wodurch Treibhausgase freiwerden, die den Klimawandel weiter ankurbeln.
Der Mensch hat es ins Rollen gebracht: Die Treibhausgas-Emissionen führen zu einer Erwärmung des Klimas – doch mittlerweile ist klar, dass mit zusätzlichen Domino-Effekten und selbstverstärkenden Prozessen zu rechnen ist. Ein banger Blick richtete sich dabei auf die Permafrostböden der arktischen Bereiche. Wie eine gigantische Kühltruhe konservieren sie riesige Mengen abgestorbener Pflanzenreste – die Zersetzung der Biomasse wird verhindert. Doch im Zuge des Klimawandels tauen die Böden immer tiefer und länger auf, sodass die Treibhausgase Methan und Kohlendioxid freigesetzt werden. Bestimmte Faktoren beschleunigen dabei das Auftauen. Untersuchungen haben gezeigt, dass Gewässer die Erwärmung des umliegenden Bodens verstärken.
Der Biber profitiert vom Klimawandel
Dadurch rückt der Biber ins Visier, denn er kann durch seine Dammbauten bekanntlich neue Gewässer schaffen. Die bis zu 30 Kilogramm schweren Nager sind zwar schon seit Urzeiten ein natürlicher Faktor in den Ökosystemen des Nordens. Doch im Zuge der Klimaerwärmung nimmt ihre Populationsdichte nun stark zu und sie dehnen auch die nördliche Grenze ihrer Verbreitungsgebiete immer weiter aus. Möglich ist dies, da inzwischen in immer mehr Tälern Gehölze wachsen, die den tierischen Landschaftsarchitekten Nahrung und Baumaterial liefern. Mit ihren scharfen Zähnen fällen sie die Bäume und Sträucher und verwenden sie anschließend, um Wasserabflüsse zu blockieren. Auf diese Weise setzen sie kleine Täler unter Wasser und schaffen neue Seen, die beachtliche Größen erreichen können.
Bereits zuvor haben Wissenschaftler über die verstärkte Ausbreitung der Biber im Norden berichtet, doch in einer aktuellen Veröffentlichung verdeutlicht nun ein Team aus US-amerikanischen und deutschen Forscher das erstaunliche Ausmaß der Biber-Expansion. „Wir wussten natürlich, dass sich die Biber in Alaska in den letzten Jahrzehnten kräftig ausgebreitet haben“, sagt Co-Autor Ingmar Nitze vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Potsdam. „Wir hätten aber nicht erwartet, dass sie die günstigeren Lebensbedingungen so intensiv nutzen würden“, so der Wissenschaftler. Für ihre Untersuchungen blickten er und seien Kollegen aus dem All auf Alaska: Sie analysieren die Entwicklung von bestimmten Landschaften anhand von hochauflösenden Satellitenaufnahmen.
Stauseen bringen den Permafrost zum Auftauen
Wie sie berichten, offenbarten die landschaftlichen Veränderungen in einem etwa hundert Quadratkilometer großen Gebiet in der Nähe der Stadt Kotzebue an der Westküste Alaskas besonders eindrucksvoll den tierischen Bauboom: Von nur zwei Biberdämmen im Jahr 2002 ist die Zahl der tierischen Bauwerke bis 2019 auf 98 angestiegen. „Wir sehen ein exponentielles Wachstum“, sagt Nitze. „Ungefähr alle vier Jahre verdoppelt sich die Zahl dieser Strukturen.“ Es zeichnet sich auch ab, wie die fleißigen Nager gezielt in den Bereichen ans Werk gehen, die sich besonders leicht unter Wasser setzen lassen.
Sie stauen Bäche auf oder blockieren die Abläufe von Gewässern, deren Wasserfläche sie dadurch vergrößern. „Vor allem nehmen sie sich gerne Becken vor, die früher schon einmal Wasser enthielten aber trockengefallen sind“, berichtet der Erstautor der Studie Benjamin Jones von der University of Alaska in Fairbanks. Oft ist deren Grund noch sumpfig und es gibt Schmelzwasser-Bäche. “Die Tiere haben intuitiv herausgefunden, dass das Aufstauen der Abflusskanäle an den Stellen der ehemaligen Seen eine effiziente Methode ist, um Lebensraum zu schaffen. So entsteht ein neuer See, der den Permafrost im Becken abbaut, was zusätzlich dazu führt, dass die Tiefe des künstlichen Wasserkörpers zunimmt”, erklärt Jones.
Wie er und seine Kollegen betonen, ist davon auszugehen, dass sich der Biber-Bauboom nicht auf Alaska beschränkt. Die Forscher planen deshalb nun, ihre Untersuchungen auf die komplette Arktis ausdehnen. „In Kanada zum Beispiel sind die Zuwächse wahrscheinlich noch größer“, sagt Nitze. Und jeder der zusätzlichen See taut den Permafrost an seinen Ufern und an seinem Grund ein wenig an. Es ist deshalb wichtig, die tierischen Landschaftsarchitekten im Auge zu behalten, betonen die Wissenschaftler: „Wer die Zukunft des Permafrost abschätzen will, muss mit dem Faktor Biber rechnen“, so Nitze.
Quelle: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, Fachartikel: Environmental Research Letters, doi: 10.1088/1748-9326/ab80f1