Alexander von Humboldt gilt als einer der bekanntesten Deutschen und wird oft als letzter Universalgelehrte der Menschheit bezeichnet. Zeit seines Lebens widmete sich der Naturforscher den unterschiedlichsten Phänomenen – seine besondere Aufmerksamkeit galt dabei auch den Bergen. Diese faszinierenden Ökosysteme geben Wissenschaftlern bis heute Rätsel auf. Anlässlich von Humboldts 250. Geburtstag widmen sich nun gleich mehrere Forscherteams den Lebensräumen im Gebirge: Was zeichnet sie aus und wie lässt sich ihr schier unglaublicher Artenreichtum erklären?
Nur rund ein Viertel der Erdoberfläche ist mit Bergen bedeckt – und doch kommt diesen geologischen Strukturen für die Artenvielfalt auf unserem Planeten eine herausragende Bedeutung zu. Mehr als 85 Prozent der weltweiten Amphibien-, Vögel- und Säugetierarten sind in Bergregionen zuhause. Viele von ihnen kommen sogar nur dort vor, wie Carsten Rahbek von der Universität Kopenhagen und seine Kollegen berichten. Wie lässt sich diese schier unglaubliche Biodiversität gerade tropischer Bergregionen erklären? Diese Frage trieb seinerzeit schon Alexander von Humboldt um. Vor allem während seiner fünf Jahre dauernden Südamerika-Expedition widmete der Naturforscher den Bergen besondere Aufmerksamkeit. So hielt er in den Anden detailliert fest, welche Pflanzen auf welcher Höhe und unter welchen Bedingungen vorkommen.
Klimatische Besonderheiten
Humboldts Ergebnisse lieferten wichtige Grundlagen zum Verständnis des Ökosystems Gebirge. Trotzdem gibt der Artenreichtum in diesen Lebensräumen Forschern auch heute, 250 Jahre nach Humboldts Geburt, noch Rätsel auf. “Gängige Biodiversitätsmodelle können diese Artenvielfalt nicht in Gänze erklären: Berge sind einfach zu reich an Spezies und wir haben für die Entstehung dieser Hotspots noch keine hinreichende Begründung”, sagt Rahbek. Anlässlich Humboldts 250. Geburtstag haben er und weitere Wissenschaftler nun den aktuellen Stand der Forschung in mehreren Veröffentlichungen in einer Spezialausgabe des Fachmagazins “Science” zusammengefasst. Einen Teil der Erklärung liefert demnach das Klima. Denn die klimatischen Bedingungen in den zerklüfteten tropischen Gebirgen unterscheiden sich in ihrer Komplexität und Diversität deutlich von denen angrenzender Flachlandregionen.
“Die Leute denken oft, das Bergklima sei einheitlich rau”, erklärt Rahbeks Kollege Michael Borregaard. “Tatsächlich aber findet sich zum Beispiel in der artenreichsten Bergregion der Welt, den nördlichen Anden, die Hälfte der weltweit bekannten Klimatypen – und das auf relativ engem Raum.” Das für seine Artenvielfalt bekannte Amazonasgebiet sei in Sachen Klima weniger divers, obwohl es rund zwölfmal so groß ist. Faszinierend ist dabei auch die große Spanne an Temperaturen im Gebirge: Ist es unten noch warm und feucht, herrschen auf dem Gipfel mitunter schon arktische Bedingungen. Wer eine Bergwanderung macht, unternimmt deshalb auf nur wenigen Kilometern eine eigentlich viel weitere Reise: von den tropischen Äquatorialregionen bis zu den arktischen Gebieten an den Polen. Schon Alexander von Humboldt erkannte und kartierte die von diesen Klimaveränderungen geprägten Höhenstufen des Gebirges, mit denen sich viele Schüler heute im Erdkundeunterricht beschäftigen.
Den Boden im Blick
Doch das Klima ist nicht alles: Auch geologische Besonderheiten spielen eine Rolle für die geheimnisvolle Artenvielfalt in den Bergen. Eine neue und überraschende Erkenntnis ist in diesem Zusammenhang, dass die geologischen Wurzeln des Untergrundgesteins offenbar eng mit der Biodiversität verknüpft sind. So hat der Boden in den besonders artenreichen Bergregionen der Tropen seinen Ursprung zum Beispiel oft in urzeitlichem, ozeanischem Krustengestein. Die spezielle Zusammensetzung dieser Böden verlangt Pflanzen lokal jeweils spezielle physiologische Anpassungen ab, wie die Forscher vermuten. Diese Anpassungserscheinungen könnten einerseits die Diversifikation innerhalb bestimmter Pflanzengruppen fördern, sich aber auch auf die Tierwelt auswirken.
Ebenfalls in Verbindung mit dem Boden steht der Aspekt, den das Team um Frank Hagedorn von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft im schweizerischen Birmensdorf in seiner Publikation herausgreift: die mikrobiellen Lebensgemeinschaften im Erdreich. Wie die Wissenschaftler betonen, spielen Bodenbakterien eine oft unterschätzte Rolle für die Ökosysteme im Gebirge. Denn sie gewährleisten den Nährstoffumsatz, fördern das Pflanzenwachstum und beeinflussen den Kohlenstoffkreislauf. “Böden sind die Terra incognita des alpinen Raumes”, sagt Hagedorn. Gerade im Hinblick auf zukünftige Veränderungen innerhalb dieser Lebensräume sollte ihrer Ansicht nach die Mikrobengemeinschaft im Boden stärker mitberücksichtigt werden.
Bedrohte Artenvielfalt
Denn auch das ist klar: Veränderungen zeichnen sich in den Bergregionen schon heute ab. Eingriffe durch den Menschen und vor allem der Klimawandel hinterlassen ihre Spuren in diesen Ökosystemen. Damit könnte auch ihr besonderer Artenreichtum bedroht sein. In Zukunft gilt es daher, Wege zu finden, die Ökosysteme des Gebirges zu bewahren – für die Natur, aber auch die Menschen, die dort ihre Heimat haben. Schon für den Universalgelehrten Humboldt waren Natur und Menschheit untrennbar miteinander verwoben, wie Stephan Jackson vom US Geological Survey in einem Kommentar betont. “Sich auf Humboldts Visionen zu besinnen und auf seinem Erbe aufzubauen, kann nicht nur Inspiration sein. Es weist auch den Weg hin zu einer besseren Zukunft für die Natur und die Menschen”, resümiert er.
Quelle: Carsten Rahbek (Universität Kopenhagen) et al., Science, doi: 10.1126/science.aax0149 und doi: 10.1126/science.aax0151