Der mächtige Chef ist in die Jahre gekommen… Wenn der Silberrücken einer Gorillagruppe zu schwächeln beginnt, stehen die Weibchen vor einem Dilemma, berichten Forscher. Bleibe sie bis zum Ende bei ihm, bringen sie ihre Kinder in Gefahr, denn ein neuer Gruppenchef tötet meist alle Säuglinge, die nicht von ihm stammen. Wenn sie allerdings den alten Silberrücken zu früh verlassen, kann ihre Fortpflanzungserfolg ebenfalls leiden, zeigen die Beobachtungen.
Die westlichen Flachlandgorillas leben in einer Haremsgesellschaft: Ihre Gruppen bestehen aus Weibchen mit ihren Jungtieren und einem einzigen erwachsenen Männchen – dem Silberrücken. Die beeindruckenden Kraftpakete schützen die Gruppe vor Raubtieren und anderen erwachsenen Männchen. Es ist bekannt, dass die Silberrücken ihre Damen nicht immer halten können: Die Weibchen wechseln gelegentlich die Gruppen. Über Details und die Bedeutung dieses Verhaltens ist aber bisher nur wenig bekannt.
Um mehr Einblicke in die Gruppendynamik zu erhalten, hat ein Forscherteam vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig über einen Zeitraum von 20 Jahren Verhaltensuntersuchungen in einer Forschungsstation im Norden der Republik Kongo durchgeführt. Für die aktuelle Studie haben sie Daten zu 100 Gorillaweibchen und 229 Säuglingen aus 36 verschiedenen Gruppen ausgewertet.
Kindstötung droht
Es zeigte sich: „Weibliche Gorillas scheinen unterschiedliche Strategien in Bezug auf Fortpflanzung und Gruppentransfer zu verfolgen“, sagt Marie Manguette, Erstautorin der Studie. „Wir haben beobachtet, dass manche Weibchen nach jeder Nachwuchs-Entwöhnung und somit bis zu sechsmal in ihrem Leben in eine andere Gruppe wechseln, während andere 20 Jahre lang bei demselben Männchen bleiben und sich mit ihm fortpflanzen”, so die Wissenschaftlerin. Darin schien sich bereits widerzuspiegeln, dass offenbar beide Strategien sinnvoll sein können.
Wie die Forscher berichten, zeichneten sich in den Daten auch die Hintergründe der beiden Verhaltensweisen ab. Es zeigte sich, dass ein hoher Anteil des Nachwuchses eines Weibchens mit einem alternden Männchen nicht überlebt. Der Grund: „Wenn ein Silberrücken stirbt, müssen sich die Weibchen seiner Gruppe einem anderen Männchen anschließen“, sagt Manguette. „Stillt ein Weibchen dann noch dessen Nachwuchs, wird der neue Silberrücken diesen höchstwahrscheinlich töten, um sich sofort mit dem Weibchen paaren und seinen eigenen Nachwuchs zeugen zu können.“ Um das Risiko zu verringern, dass das eigene Kind getötet wird, wechseln deshalb offenbar einige Gorillaweibchen strategisch: Sobald sie ein Kind abgestillt haben, lassen sie es zurück und schließen sich einer neuen Gruppe an, erklären die Wissenschaftler.
Strategisches Wechseln ist ebenfalls problematisch
Doch dieses Verhalten hat ebenfalls Nachteile, geht aus den Daten der Wissenschaftler hervor: Wenn Weibchen ihre Gruppe verlassen, um sich einem anderen Männchen anzuschließen, verlängern sich die Intervalle zwischen den Schwangerschaften. Letztlich schmälert dies wiederum ebenfalls den Fortpflanzungserfolg: Weibchen, die im Laufe ihres Lebens viermal die Gruppe gewechselt haben, brauchen etwa zehn Jahre länger, um überlebenden Nachwuchs zu gebären, als gruppentreue Tiere. „Gorillaweibchen, die in der Gruppe eines älteren Silberrückens sind, stehen also vor einem Dilemma: Sollen sie bleiben und sich weiterhin mit ihm fortpflanzen, auch wenn ihr Nachwuchs getötet werden könnte, sollte er sterben. Oder sollen sie die Gruppe verlassen, auch wenn es für sie dann zu erheblichen Verzögerungen bei der Fortpflanzung kommen könnte“, resümiert Manguette.
Generell scheint es allerdings für ein Weibchen sinnvoll zu sein, ein Männchen zu verlassen, wenn sich abzeichnet, dass er nicht mehr lange durchhält. Den Forschern zufolge fanden sie Hinweise darauf, dass Weibchen recht gut einschätzen können, wenn ein Männchen schwächer wird und sich dann davonmachen. Dieser Spur wollen sie nun weiter nachgehen. Die Autoren betonen in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Langzeitstudien für die Erforschung von Arten wie Gorillas, die sich langsam fortpflanzen. Ergebnisse sind dabei nicht nur aus biologischer Sicht interessante, sie können auch dem Schutz dieser bedrohten Tiere dienen, so die Wissenschaftler.
Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Fachartikel: Behavioural Ecology and Sociobiology, doi: 10.1007/s00265-019-2727-3