Kinder brauchen die Natur – davon sind Pädagogen seit langem überzeugt. So soll das Toben unter freiem Himmel unter anderem die Motorik schulen sowie Kreativität und Fantasie anregen. Doch der frühe Kontakt zur Natur könnte noch aus einem weiteren Grund wichtig sein: Wer in jungen Jahren viel draußen ist, dem geht es im Erwachsenenalter offenbar seelisch besser. Die kindlichen Naturerlebnisse scheinen langfristig die mentale Gesundheit zu fördern, wie eine Studie nun nahelegt.
Die Natur ist ein wahrer Seelentröster. Egal ob Wald, Stadtpark oder Garten – Ausflüge ins Grüne verbessern das psychische Wohlbefinden. Dies haben Umweltpsychologen in den vergangenen Jahren immer wieder festgestellt. In der Natur kommen wir zur Ruhe, unser Herz schlägt messbar langsamer und die Muskeln entspannen sich. Doch das ist längst nicht alles: Auch auf unsere körperliche Gesundheit scheinen sich der Stressabbau und die Bewegung in der Natur positiv auszuwirken. Besonders deutlich zeigt sich dieser Zusammenhang in urbanen Lebensräumen. Je mehr Grün Städter in ihrem direkten Umfeld haben, desto seltener leiden sie an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Bluthochdruck, wie Studien nahelegen.
Mentale Gesundheit im Fokus
Weitgehend unklar war bisher allerdings, ob eine ordentliche Dosis Natur auch vorbeugende Effekte haben kann: Wirkt sich zum Beispiel viel Draußen-Sein in der Kindheit auf das Risiko für bestimmte Erkrankungen im Erwachsenenalter aus? Dieser Frage sind nun Myriam Preuss von der Universität Maastricht und ihre Kollegen nachgegangen. Für ihre Studie werteten die Wissenschaftler Daten von 3585 Erwachsenen aus Spanien, den Niederlanden, Litauen und Großbritannien aus. Die Probanden im Alter zwischen 18 und 75 Jahren wurden dazu befragt, wie oft sie als Kind in der Natur gewesen waren – zum Beispiel beim Wandern im Wald oder Spielen im Hinterhofgarten. Zudem untersuchte das Team die mentale Gesundheit der Teilnehmer, unter anderem mithilfe von psychologischen Tests. Litten sie unter krankhafter Nervosität oder depressiven Verstimmungen?
Um Effekte aktuellen Naturkontakts herauszurechnen, bestimmten Preuss und ihre Kollegen außerdem mithilfe von Satellitenaufnahmen, von wie viel Grün die Probanden an ihrem derzeitigen Wohnsitz umgeben waren. Die Analysen offenbarten: Wer sich als Kind vergleichsweise selten in Naturräumen aufgehalten hatte, schnitt in den Tests zur mentalen Gesundheit schlechter ab. Interessanterweise sprachen diese Personen der Natur bei Befragungen auch eine geringere Bedeutung zu, wie die Forscher berichten. “Dies legt nahe, dass der Kontakt zur Natur in der Kindheit sehr wichtig ist – sowohl für die Entwicklung einer naturverbundenen Einstellung als auch für einen gesunden Seelenzustand im Erwachsenenalter”, konstatiert Co-Autorin Wilma Zijlema vom Barcelona Institut für globale Gesundheit.
Raus in die Natur!
Warum sich die frühen Erlebnisse in Park, Garten, Wald und Co möglicherweise positiv auf die spätere psychische Gesundheit auswirken, darüber können die Wissenschaftler bisher nur spekulieren. “Im Rahmen unserer Studie war es uns nicht möglich, kausale Zusammenhänge aufzuzeigen”, erklären Preuss und ihre Kollegen. Ihnen zufolge könnte es aber zum Beispiel sein, dass die Umweltreize aus der Natur die Gehirnentwicklung beeinflussen – und so auf lange Sicht auch die mentale Gesundheit. “Es sind auf jeden Fall weitere Studien nötig, um unsere Ergebnisse zu bestätigen und die zugrundeliegenden Mechanismen aufzudecken”, betonen sie.
Doch egal, wie der nun beobachtete Effekt zustande kommt: Die Forscher plädieren angesichts ihrer Erkenntnisse dafür, Kindern den Zugang zu Naturräumen zu erleichtern – zum Beispiel, indem Aktivitäten in der Natur vermehrt auf dem Schul-Stundenplan stehen oder Schulhöfe besonders grün gestaltet werden. Wie sie betonen, lebt gut 70 Prozent der europäischen Bevölkerung in städtischen Regionen, in denen es wenig naturnahe Bereiche gibt und Kinder viel zu häufig drinnen spielen. In den kommenden Jahrzehnten wird der Anteil der Städter Prognosen zufolge noch weiter zunehmen. “Es ist daher wichtig, zu erforschen, welche Auswirkungen das Aufwachsen in Lebensräumen mit nur beschränkten Möglichkeiten des Naturerlebens hat”, schließt Zijlema.
Quelle: Myriam Preuss (Universität Maastricht, Niederlande) et al., International Journal of Environment Research and Public Health, doi: 10.3390/ijerph16101809