Lange galt Deutschland als Vorreiter beim Thema Energiewende. Denn es gehörte zu den ersten Ländern, die den Umstieg auf erneuerbare Energie anstrebten und auf Sonne, Wind und andere Alternativen setzen. Doch inzwischen ist vom anfänglichen Elan nur noch wenig zu spüren. Der vom Weltwirtschaftsforum und McKinsey ermittelte Energiewende-Index bestätigt nun: Deutschland ist im internationalen Vergleich nur noch Mittelmaß. Der Grund dafür sind hohe Strompreise, eine große Abhängigkeit vom Kohlestrom und die schlechte Bilanz beim CO2-Ausstoß.
Schon im letzten Jahr zeichnete sich ab, dass Deutschland seine selbstgesteckten Ziele sowohl im Klimaschutz als auch beim Umstieg auf erneuerbare Energie wohl verfehlen wird. Berechnungen des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE) ergaben im September 2017, dass Sonne, Wind und Co in Deutschland bis 2020 nur einen Anteil von rund 16 Prozent haben werden – das verpflichtende EU-Ziel liegt jedoch bei 18 Prozent. Bei den CO2-Emissionen liegt das nationale Klimaschutzziel bei einer Reduktion bis 2020 um 40 Prozent gemessen an 1990. Dieses Ziel erklärten die deutschen Politiker im Rahmen ihrer Koalitionsverhandlungen kurzerhand für ohnehin nicht mehr erreichbar.
Nicht mehr unter den Top Ten
Wie es in Deutschland und weltweit mit den erneuerbaren Energien und der Energiewende aussieht, haben Wissenschaftler vom Weltwirtschaftsforum und der Unternehmensberatung McKinsey nun in Form des Energy Transition Index (ETI) erhoben. Dafür ermittelten sie für 114 Länder anhand von 40 Indikatoren den jeweiligen Status der Energiewende. Dabei fließen neben den Anteilen der verschieden Energieformen auch Faktoren wie die Struktur des Energiesystems, die Wirtschaftlichkeit, der CO2-Ausstoß und die Versorgungssicherheit mit ein.
Das Ergebnis: Deutschland liegt im internationalen Energiewende-Index weder global noch in Europa in den Top-Ten. Die Spitzenplätze in Sachen Sonne, Wind und Co belegen unangefochten die skandinavischen Länder – vor allem wegen ihres traditionell hohen Anteils an Wasserkraft. Ebenfalls unter den zehn führenden Wendestaaten” haben sich die Schweiz, die Niederlande, Großbritannien, Österreich und Frankreich etabliert. Deutschland belegt dagegen im internationalen Vergleich insgesamt nur Platz 16.
Andere schaffen es besser
Diese noch halbwegs gute Platzierung verdankt Deutschland allerdings vor allem seiner hohen Versorgungsicherheit, der guten Infrastruktur und dem relativ effektiven Kontrollsystem, wie die Daten enthüllen. Betrachtet man jedoch die Struktur des Energiesystems – und damit den Indikator, der die Netzstruktur und die Anteile der verschiedenen Energieformen bewertet – dann wird es fast schon peinlich: Deutschland liegt hier auf Platz 110 von 114 – wir sind eines der Schlusslichter.
Wie die Forscher berichten, liegt die vor allem an Deutschlands Abhängigkeit vom Kohlestrom: Dessen Anteil beträgt immer noch 42 Prozent. Zum Vergleich: Dänemark hat seinen Anteil von Kohlestrom in den letzten Jahrzehnten von 91 auf 28 Prozent reduziert und Großbritannien von 65 auf 9 Prozent. Im Falle Dänemarks gelang dies ohne Kernenergie oder den Rückgriff auf substanzielle Wasserkraftressourcen. Großbritannien hat ein flexibles Stromsystem aufgebaut, in dem der Ausbau flexibler Kraftwerke gefördert wird. Zudem gilt seit 2013 ein nationaler CO2-Mindestpreis, der auf Emissionen in der Stromerzeugung erhoben wird. Beide Maßnahmen ergänzen sich gegenseitig und stützen den 2015 beschlossenen Kohleausstieg bis 2025.
Zu hohe CO2-Emissionen und Strompreise
Ebenfalls wenig ruhmreich ist das Abschneiden Deutschlands in der Kategorie “Umwelt- und Klimaschutz”: Hier erreichen wir im weltweiten Vergleich nur Platz 61. Hauptgrund dafür ist der hohe CO2-Ausstoß. Die Emissionen in Deutschland betrugen zuletzt 906 Megatonnen. Damit stagniert der Wert seit 2014 auf unverändert hohem Niveau. Dänemark ist es dagegen gelungen, seine CO2-Emissionen pro Kopf innerhalb von zehn Jahren um fast 44 Prozent zu senken, wie der Ländervergleich zeigt.
Ebenfalls ungünstig für die Energiewende ist der Strompreis: Hier liegt Deutschland ebenfalls relativ weit hinten. Denn: Deutsche Privathaushalte zahlen aktuell 30,8 Cent pro Kilowattstunde und damit 46,6 Prozent mehr als ihre europäischen Nachbarn. Die Industriestrompreise liegen 14,8 Prozent über dem europäischen Durchschnitt. Sie sind zudem zuletzt um 0,7 Prozent angestiegen, während in Europa die Preise um 0,5 Prozent sanken.
Damit bestätigt der Energiewende-Index: Trotz stabiler politischer Rahmenbedingungen und hoher Wirtschaftskraft hat Deutschland seine Vorreiterrolle beim Umstieg auf Sonne, Wind und Co verloren. Andere Länder, darunter sogar einige Entwicklungs- und Schwellenländer haben uns inzwischen überholt.
Quelle: McKinsey & Company, Report: Fostering Effective Energy Transition 2018