Pflanzen mit Appetit auf Fleisch: Wie haben die Karnivoren ihre bizarren Fähigkeiten zum Fang von Insekten hervorgebracht? Überraschende Informationen liefern dazu nun die Genome von Venusfliegenfalle, Sonnentau und Wasserfalle. Interessante Prozesse der genetischen Anpassungen bildeten demnach die Grundlage für die Entwicklung ihrer rabiaten Ernährungsweise.
Viele Tiere fressen Pflanzen – doch rund 600 Pflanzenarten haben den Spieß umgedreht: Mit raffinierten Fallensystemen machen sie Jagd auf Insekten. Dadurch haben sie Wachstumsvorteile an Standorten, wo der Boden nur wenig Nährstoffe bietet. Um Fliege, Ameise und Co zu fangen, haben diese sogenannten Karnivoren unterschiedliche Strategien entwickelt: Einige stellen Fallgruben auf, andere kleben und manche schnappen nach ihrer Beute. Nach einem Jagderfolg zerlegen Verdauungsflüssigkeiten die Opfer, sodass sich die Pflanzen die Nährstoffe einverleiben können.
Die rabiaten Gewächse stehen schon lange im Fokus der Forschung. Unter anderem wirft ihre Evolutionsgeschichte Fragen auf: Wie sind sie aus friedlichen Vorfahren entstanden und auf welchen genetischen Programmen basieren ihre bizarren Fähigkeiten? Es scheint bereits klar, dass sich die Fleischfresserei mehrmals unabhängig voneinander bei unterschiedlichen Pflanzengruppen entwickelt hat. Ein internationales Forscherteam um Rainer Hedrich von der Universität Würzburg hat nun drei Vertretern aus der Familie der Sonnentaugewächse (Droseraceae) eine genetische Untersuchung gewidmet. Im Rahmen ihrer Studie haben sie das Genom der Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula), der Wasserfalle (Aldrovanda vesiculosa) und der Sonnentauart Drosera spatulata sequenziert und analysiert.
Drei grüne Fleischfresser im Visier
Das Interessante an dem Trio ist: Obwohl diese Pflanzen zur gleichen Pflanzenfamilie gehören, haben sie jeweils andere Lebensräume erobert und unterschiedliche Fangmechanismen entwickelt: Dionaea legt Fallen aus, die wie Fangeisen Insekten blitzartig einschließen, nachdem diese feine Sinneshaare berührt haben. Aldrovanda ist hingegen eine Wasserpflanze, die mit kleinen Klappfallen Wasserflöhen und Mückenlarven auflauert. Der Sonnentau setzt wiederum auf Haftkraft: Er fängt seine Beute mit klebrigen Tentakeln, die nach dem Jagderfolg das Insekt zunehmend einschließen und es schließlich zersetzen.
Nachdem die Forscher das Erbgut der drei Karnivoren sequenziert hatten, verglichen sie die Sequenzen untereinander sowie mit den bekannten Genomdaten anderer Pflanzen. So zeigte sich: Trotz ihrer unterschiedlichen Lebensweisen und Fangmechanismen besitzen Venusfliegenfalle, Sonnentau und Wasserfalle eine gemeinsame „Basis-Ausstattung“ von Erbanlagen, die eine Grundlage ihrer fleischfressenden Lebensweise bilden. „Die Funktion dieser Gene steht im Zusammenhang mit der Fähigkeit, Beutetiere zu spüren, zu verdauen und ihre Nährstoffe zu verwerten“, resümiert Hedrich.
Man könnte meinen, dass die fleischfresserischen Fähigkeiten auf einem besonders umfangreichen Erbgut basieren. Doch offenbar ist das Gegenteil der Fall: Zu ihrer Überraschung stellten die Forscher fest, dass die drei untersuchten Arten zu den genärmsten Pflanzen gehören, die man kennt. Drosera besitzt 18.111, Dionaea 21.135 und Aldrovanda 25.123 Gene. Die meisten Pflanzen haben dagegen zwischen 30.000 und 40.000 Gene. „Das kann nur bedeuten, dass die Spezialisierung auf tierische Nahrung zwar mit einem Zugewinn, gleichzeitig aber auch mit einem massiven Verlust von Genen einherging“, sagt Co-Autor Mitsujasu Hasebe von der japanischen Universität Okazaki.
Aktive Wurzel-Gene in den Fangorganen
Wie die bisherigen Analyseergebnisse zeigen, finden sich die meisten Gene, die für den Betrieb der Fangorgane nötig sind, in leicht veränderter Form auch in „normalen“ Pflanzen. „Bei den Karnivoren sind in den Fallensystemen mehrere Gene aktiv, die bei anderen Pflanzen ihre Wirkung in der Wurzel entfalten. In den Fangorganen werden diese Gene erst angeschaltet, wenn die Beute sicher gefangen ist“, erklärt Hedrich. Wie die Forscher erklären, passt zu diesem Befund, dass Venusfliegenfalle und Sonnentau nur schwache Wurzelsysteme ausbilden. Bei der Wasserfalle fehlen sie sogar ganz.
Die Forscher fanden auch Hinweise auf einen interessanten genetischen Effekt, der offenbar die Entwicklung der neuen Fähigkeiten begünstigte: Vor etwa 60 Millionen Jahren war es bei einem gemeinsamen Vorfahren der drei Pflanzen zu einer Verdopplung des gesamten Genoms gekommen. Diese Vervielfältigung stellte Kopien von Genen zur Weiterentwicklung zur Verfügung, erklären die Wissenschaftler. „Wir konnten den Ursprung der gemeinsamen Karnivorie-Gene auf dieses Duplikationsereignis zurückverfolgen“, sagt Co-Autor Jörg Schultz von der Universität Würzburg.
Die Forscher wollen die drei genetischen Baupläne nun als Grundlage für weitere Untersuchungen nutzen. Unter anderem sollen sie nun helfen, die molekularen Grundlagen der Fangmechanismen genauer zu ergründen. Ein Aspekt erscheint dabei besonders spannend: „Wir haben festgestellt, dass die Venusfliegenfalle die vom Beutetier ausgelösten elektrischen Reize zählt, sich diese Zahl eine gewisse Zeit merken kann und schließlich eine Entscheidung trifft, die der Zahl entspricht“, so Hedrich. Welche biophysikalisch-biochemischen Prinzipien dieser erstaunlichen Fähigkeit zugrunde liegen, könnten auch genetische Informationen erhellen, sagt der Wissenschaftler.
Quelle: Universität Würzburg, Fachartikel: Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2020.04.051