Insgesamt 442 Wissenschaftler des internationalen Projekts ?ENCODE? haben heute der Weltöffentlichkeit ihre Ergebnisse präsentiert. Die zentralen Erkenntnisse betreffen dabei die Regulationssysteme des Erbguts: Große Teile des Genoms, die keine Bauanleitungen für Eiweiße bergen, repräsentieren demnach einen gewaltigen Steuerapparat, der durch Millionen Schaltelemente die Aktivität der Gene reguliert. Störungen dieses Systems können Krankheiten hervorrufen, deshalb sehen die Wissenschaftler in den Ergebnissen einen großen Schritt für die biomedizinische Forschung. Die Detail-Ergebnisse des Mammutprojekts sind so umfassend und komplex, dass sie in 30 vernetzten, frei zugänglichen Artikeln veröffentlicht wurden, die nun zeitgleich in drei wissenschaftlichen Fachzeitschriften erscheinen.
ENCODE wird vom National Genome Research Institute (NHGRI) in den USA und dem EMBL European Bioinformatics Institute (EMBL-EBI) in Großbritannien geleitet ? 32 Forschungseinrichtungen in unterschiedlichen Ländern sind beteiligt. Ziel ist es, herauszufinden, wodurch bestimmte Gene an- beziehungsweise abgeschaltet werden und wie sich die ?Schalter? in den verschiedenen Zelltypen unterscheiden. Ähnlich wie das Humangenomprojekt geben nun auch die Ergebnisse von ENCODE ungeahnte Einblicke in die Informatik des Lebens und weisen neue Wege in der Forschung. Das Humangenomprojekt hatte zuvor gezeigt, dass lediglich zwei Prozent des Erbguts aus ?Bauplänen?, also proteinkodierenden Genen besteht. Der vermeintlich funktionslose Rest wurde bislang sogar als ?Junk-DNA? (Müll-DNA) bezeichnet. ENCODE offenbart nun jedoch, dass ungefähr 80 Prozent des Erbguts sehr wohl aktiv sind.
Von wegen ?Junk-DNA?
?Wir haben herausgefunden, dass ein viel größerer Teil des Genoms als bisher angenommen aktiv an der Steuerung beteiligt ist, wann und wo Proteine produziert werden?, sagt Ewan Birney vom EMBL-EBI. Die Forscher haben bereits vier Millionen entsprechender ?Genschalter? identifiziert und in einer Art Enzyklopädie zusammengefasst. Wegen der komplexen Struktur der DNA befinden sich diese Steuerelemente manchmal weit von dem Gen entfernt, das sie regulieren. Die fadenförmige Erbsubstanz bildet in diesem Fall schleifenförmige Strukturen, um den Kontakt herzustellen. ?Ohne ENCODE hätten wir diese entfernten Regionen vielleicht niemals untersucht. Dies ist ein wesentlicher Schritt hin zum Verständnis des Schaltplans des Menschen?, erklärt Michael Snyder von der Stanford University, einer der leitenden Wissenschaftler des Projekts.
Die Daten von ENCODE können nun von jedem Wissenschaftler zur Erforschung von Krankheiten verwendet werden. In vielen Fällen ist bekannt, welche Gene bei der Symptomatik eine Rolle spielen, man kennt aber die daran beteiligten Schalter nicht. ENCODE gibt nun Hinweise zu den Schlüsselmechanismen, die über Gesundheit und Krankheit entscheiden, sagen die Forscher. ?Diese Informationen können für die Entwicklung neuer Medikamente oder die Anpassung bereits bestehender Therapien genutzt werden?, sagt Ian Dunham vom EMBL-EBI.
Informationen zu ENCODE auf der Homepage des European Molecular Biology Laboratory (EMBL) © wissenschaft.de ?
Martin Vieweg