Doch die ungewöhnlichste Eigenschaft von Brocadia anammoxidans ist ihr Stoffwechsel: Die Einzeller nutzen die so genannte Anammox-Reaktion zur Energiegewinnung, bei der Ammoniak (NH3) unter anaeroben Bedingungen zu molekularem Stickstoff (N2) oxidiert wird. Erstaunlicher noch: Als Zwischenprodukt der Reaktion entsteht Hydrazin. Diese hochgiftige Substanz ist ein leistungsfähiger Raketentreibstoff und wird von keinem anderen Lebewesen hergestellt. Womöglich brauchen die Bakterien den Raketenzunder, um die Anammox-Reaktion in Gang zu halten.
Damit das Gift nicht den Rest der Zelle zugrunderichtet, musste sich Brocadia anammoxidans einen weiteren Trick einfallen lassen: Das Ammoniak wird in einer Organelle, dem Anammoxosom, verarbeitet. Deren Wände bestehen aus einem einzigartigen Lipid, in dem fünf Kohlenstoff-Ringe wie eine Leiter aneinanderhängen. Mikrobiologen vermuten, dass die Membran außergewöhnlich dicht ist, so dass das Hydrazin im Anammoxosom gefangen bleibt. “Es ist aber völlig rätselhaft, wie die Natur dieses Lipid herstellt”, berichtet der Nobelpreisträger Elias Corey von der Harvard University in Nature. Niederländische Forscher, die ein Patent zur Herstellung des Lipids haben, hoffen auf eine mögliche Anwendung der undurchdringlichen Membran in der Mikroelektronik.
Brocadia anammoxidans schickt sich derweil an, die Abwasserreinigung zu revolutionieren. Sowohl in städtischen Kläranlagen als auch bei vielen industriellen Prozessen entstehen große Mengen Ammoniak, der bislang von unterschiedlichen Bakterien stufenweise zu Nitrit, Nitrat und schließlich zu molekularem Stickstoff oxidiert wird. Die Anammox-Bakterien schlagen auf diesem Weg eine Abkürzung ein. Der in Rotterdam eingesetzte Prototyp eines Anammox-Reaktors ist nur halb so groß wie ein herkömmlicher Bioreaktor und spart 90 Prozent der Betriebskosten.