In den 70er und 80er Jahren kamen Forscher einem Phänomen auf die Spur, das ihr Bild von der Aktivität unserer Gene – mal wieder – völlig veränderte. Sie stellten fest, dass nicht nur andauernde Veränderungen des Erbguts oder flüchtig andockende Transkriptionsfaktoren darüber entscheiden, welche Gene in unseren Zellen aktiv sind. Tatsächlich gibt es noch eine dritte Möglichkeit der Kontrolle. Chemische Veränderungen an der Oberfläche der DNA können Informationen über viele Zellteilungen hinweg speichern, ohne den genetischen Code zu verändern. Bekanntestes Beispiel für solche sogenannte epigenetische Veränderungen sind Methylgruppen, die sich ans Erbgut heften. Sie legen beispielsweise das überschüssige X-Chromosom in weiblichen Zellen lahm.
Offen ist bisher jedoch die Frage, ob Informationen mit Hilfe epigenetischer Veränderungen von den Eltern an ihre Kinder oder gar ihre Enkel weitergegeben werden können. „Solch ein Transfer wäre für Eltern eine effektive Möglichkeit, ihre Nachkommen über die Relevanz bestimmter Umweltfaktoren zu ‚informieren‘, mit denen diese voraussichtlich in ihrer künftigen Umgebung zu tun haben werden”, schreiben Brian Dias und Kerry Ressler von der Emory University School of Medicine in Atlanta in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature Neuroscience”.
Um zu untersuchen, ob und wie Erfahrungen folgende Generationen beeinflussen, trainierten die beiden Forscher männliche Mäuse mit schwachen Stromschlägen darauf, den kirschblütenartigen Duft von Acetophenon zu fürchten. Gerüche sind für solche Experimente besonders geeignet, da die Nervenbahnen und Gehirnregionen, die für ihre Verarbeitung zuständig sind, gut erforscht sind. Außerdem ist bekannt, welche Nervenzellen auf Acetophenon anspringen und welches Gen die Bauanleitung für die verantwortlichen Rezeptoren auf ihrer Oberfläche liefert.
Wie prägt Angst Spermien?
Nachdem die männlichen Nager trainiert worden waren, durften sie sich mit Weibchen paaren, die Acetophenon noch nie zuvor erschnüffelt hatten. Die Forscher sorgten dafür, dass der Kontakt zwischen den Eltern auf ein Mindestmaß beschränkt blieb, damit das Verhalten des Vaters die Schreckhaftigkeit der Kinder nicht beeinflusste. In einigen Fällen wurden die Mäusemütter sogar künstlich befruchtet, oder ihre Jungen wurden von anderen Weibchen großgezogen. Trotzdem reagierten die Kinder von konditionierten Vätern erschrocken, wenn ihnen zum ersten Mal in ihrem Leben der Duft von Kirschblüten um die Schnauze wehte. Andere Gerüche hingegen ließen sie kalt. Gleiches galt – in geringerem Maße – sogar für die Generation der Enkel. Ob selbst deren Kinder von den Erlebnissen ihrer Urgroßväter geprägt werden, untersuchten die Forscher jedoch nicht.
Mit dem Trauma gingen auch physiologische Veränderungen einher. Bei den Mäusen, die Elektroschocks zum Duft von Acetophenon erhalten hatten, stieg die Zahl der entsprechenden Riechzellen. Auch bei ihren Kindern und Enkeln waren die betroffenen Regionen in den Riechkolben deutlich stärker ausgeprägt als bei Vergleichstieren – selbst wenn sie noch nie mit dem Geruch in Berührung gekommen waren. Ein Blick in die Gene der Spermien lieferte Aufschluss: In den Keimzellen der konditionierten Mäusen und denen ihrer Söhne war jenes Gen, das die Bauanleitung für den passenden Geruchsrezeptor enthält, schwächer methyliert – und damit aktiver – als bei anderen Mäusemännern.
Auf welchem Wege die erlernte Furcht vor einem Geruch zu epigenetischen Veränderungen in den Keimzellen führt, können Dias und Ressler allerdings nicht erklären. „Das ist eine spannende Frage, über die wir nur spekulieren können”, schreiben sie. Möglich sei, dass die Duftmoleküle über die Blutbahn bis in die Hoden der konditionierten Mäuseriche gelangen und dort an Rezeptoren auf der Oberfläche der Spermien andocken. Doch das ist tatsächlich nicht mehr als eine Vermutung.