Ob 1, 25 oder 712: Wir Menschen haben gelernt, dass diese arabischen Ziffern für bestimmte Zahlengrößen stehen. Aber können auch Tiere abstrakte Symbole mit bestimmten Mengen verknüpfen? Ein Experiment enthüllt nun, dass sogar Honigbienen diese mentale Leistung vollbringen. Sie können lernen, welches Symbol für welche Objektmenge steht und umgekehrt. Trotz ihres kleinen Gehirns besitzen diese Insekten damit überraschend weitreichende “mathematische” Fähigkeiten. Denn schon zuvor hatten Versuche gezeigt, dass die Bienen Mengen schätzen, die Null verstehen und sogar einfache Rechenaufgaben lösen können.
Die Fähigkeit, Symbole mit bestimmten Zahlengrößen zu verknüpfen, ist für uns alltäglich und scheinbar leicht. “Nachdem wir einmal als Kind die Zahlen gelernt haben, sehen wir dies als selbstverständlich an”, erklärt Seniorautor Adrian Dyer von der RMIT University in Melbourne. “Aber die Fähigkeit zu erkennen, wofür eine ‘4’ wirklich steht, erfordert ein fortgeschrittenes Niveau der kognitiven Fähigkeiten.” Lange hielt man diese Form der symbolischen Zahlenrepräsentation daher für eine rein menschliche Domäne. Inzwischen jedoch haben Experimente gezeigt, dass auch einige Tiere diese Form der Abstraktion beherrschen: Schimpansen lernen arabische Ziffern und können sie nach ihrem Wert sortieren und auch Rhesusaffen merken sich die Zahlengrößen hinter den arabischen Ziffern. Selbst einige Vögel, darunter Tauben und der bekannte Graupapagei “Alex”, können lernen, abstrakte Symbole mit bestimmten Mengen zu verknüpfen.
Test im Y-Labyrinth
Doch wie sieht es mit den vermeintlich einfacher gestrickten wirbellosen Tieren aus? “Wir Menschen besitzen rund 86 Milliarden Neuronen im Gehirn, Honigbienen dagegen weniger als eine Million – und beide Arten sind durch rund 600 Millionen Jahre der Evolution voneinander getrennt”, sagt Dyer. Lange galt es daher als unvorstellbar, dass ein Tier mit einem so kleinen Gehirn ein Zahlenverständnis besitzt oder gar rechnen kann. Doch das hat sich als Irrtum erweisen. Denn in den letzten Jahren haben Studien belegt, dass Honigbienen nicht nur Mengen abschätzen können, sondern dass sie auch das Konzept der Null als leerer Menge verstehen und darüber hinaus sogar einfache Additionen und Subtraktionen bewältigen können. Ausgehend von diesen Beobachtungen haben sich Dyer, seine Kollegin Scarlett Howard und ihr Team nun die Frage gestellt, ob die “mathematischen” Fähigkeiten der Bienen vielleicht sogar noch weiter gehen: Können diese Insekten lernen, abstrakte Symbole mit bestimmten Zahlenmengen zu verknüpfen?
Um das herauszufinden, nutzten die Forscher ein Y-Labyrinth als Testumgebung für 20 Arbeiterinnen aus Bienenstöcken auf dem Universitätsgelände. Eine Hälfte dieser Bienen sah am Eingang des Labyrinths jeweils eines von zwei abstrakten Symbolen – ein umgekehrtes “T” oder ein liegendes “Z”. Flog die Biene dann in die Entscheidungskammer, konnte sie entweder einen Futterspender mit zwei oder mit drei Quadraten ansteuern. Nur einer davon enthielt jedoch den begehrten Zuckersaft. Im Laufe von 50 Durchgängen lernten die Honigbienen so, jedes der beiden Symbole einer bestimmten Menge an Objekten zuzuordnen. Die zweite Bienengruppe absolvierte das umgekehrte Training: Sie sahen zuerst die Menge und sollten dann das passende abstrakte Symbol anfliegen.
Verknüpfung klappt, Umkehrung nicht
Nach der Trainingsphase folgte der eigentliche Test: Beide Bienengruppen bekamen wieder die gleiche Aufgabe und die gleichen abstrakten Symbole. Die Objekte in den Mengenbildern waren jedoch leicht anders geformt oder angeordnet. “Die Bienen mussten dadurch die Zuordnungsaufgabe auf komplett neue Stimuli transferieren”, erklären Howard und ihre Kollegen. Es zeigte sich: Trotz der von ihnen geforderten Transferleistung ordneten die sechsbeinigen Probandinnen die Symbole und Mengen größtenteils korrekt zu: Sie lagen in 62 bis 65 Prozent der Versuchsdurchgänge richtig, wie die Forscher berichten. Das sei signifikant besser als reiner Zufall. “Dieses Ergebnis demonstriert, dass Bienen die Verknüpfung zwischen einem Symbol und einem Zahlenwert lernen können”, konstatieren die Forscher.
Doch wie ein weiterer Test enthüllte, besteht diese Verknüpfung offenbar nur in der zuvor gelernten Richtung. Als die Forscher die beiden Bienengruppen vor die Aufgabe der jeweils anderen stellte, versagten sie. Die Bienen, die erst das Symbol gesehen und dann die Objektmengen zugeordnet hatten, schafften es nicht, von der Objektmenge auf das passende Symbol zu schließen und umgekehrt. “Die spontane Umkehrung der Assoziation scheint demnach jenseits der Kapazität eines Insektengehirns zu liegen”, schlussfolgern die Wissenschaftler. Woran das liegt und wo die Schwierigkeit für die Honigbienen liegt, wissen sie aber noch nicht.
Nach Ansicht der Forscher ist damit klar, dass Bienen durchaus die Fähigkeit besitzen, symbolische Repräsentationen von Zahlen zu lernen. “Aber das Niveau von Tieren wie Tauben, Schimpansen, Rhesusaffen oder Alex dem Graupapagei erreichen sie dabei nicht”, so Howard und ihre Kollegen. Dennoch liefere das Ergebnis der Experimente spannende Einblicke in die numerischen Fähigkeiten der Insekten und ihre Lernfähigkeit. “Herauszufinden, wie solche komplexen Leistungen von einem Miniaturgehirn bewältigt werden, wird uns dabei helfen zu verstehen, wie sich das mathematische und kulturelle Denken bei Menschen und wahrscheinlich auch anderen Tieren entwickelt hat”, konstatiert Dyer.
Quelle: Scarlett Howard (RMIT University, Melbourne) et al., Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, doi: 10.1098/rspb.2019.0238