Die Erde ist nicht nur ein blauer Planet, sondern auch ein grüner: Große Teile der Landfläche sind von Wäldern bedeckt. Doch wie viele Baumarten wachsen in den Wäldern weltweit? Das hat ein internationales Forschungsteam nun untersucht. Ihrer Bilanz zufolge gibt es global gut 73.000 Baumarten, davon könnten aber mindestens 9200 noch unentdeckt und unbeschrieben sein. Die größte Vielfalt an Baumarten findet sich dabei in den Tropenwäldern Südamerikas: Die dort wachsenden Spezies machen rund 43 Prozent der gesamten Baumarten-Vielfalt aus, wie das Team berichtet. Gleichzeitig könnte dort der Anteil seltener, unentdeckter Arten am höchsten sein.
Wie viele Arten gibt es auf der Erde? Dies ist eine der grundlegenden Fragen der Ökologie – und eine bis heute unbeantwortete. Denn die Menschheit kennt bisher nicht einmal einen Bruchteil aller Lebewesen auf dem Planeten. “Selbst bei den Bäumen, die zu den größten und am weitesten verbreiteten Organismen des Planeten gehören, die einen Großteil der terrestrischen Biodiversität ermöglichen und uns Menschen eine Fülle von Ökosystemdienstleistungen bereitstellen, wissen wir noch immer nicht genau, wie viele Spezies es gibt”, konstatieren Roberto Cazzolla Gatti von der Purdue University und seine Kollegen. So sind zwar die Wälder der mittleren und höheren Breiten relativ gut untersucht, viele artenreiche Waldgebiete der Tropen sind jedoch noch weitgehend unerforscht. “Aber das Wissen um den Artenreichtum und die Vielfalt der Bäume ist wichtig, um die Stabilität und Funktionalität der Ökosysteme zu erhalten”, sagt Gatti.
Daten aus aller Welt zusammengetragen
Um diese Wissenslücke zu schließen, hat ein Team von mehr als 100 Wissenschaftlern aus aller Welt die umfangreichste und umfassendste Datensammlung der arborealen Artenvielfalt zusammengetragen und ausgewertet. Dafür kombinierten sie Informationen aus zwei globalen Datenbanken, eine von der Global Forest Biodiversity Initiative (GFBI) und eine vom Projekt TREECHANGE. Für diese Datensätze wurden die Baumbestände von zehntausenden Testflächen in aller Welt erfasst. “Jeder dieser Datensätze stammt von jemandem, der in einem Waldstück jeden einzelnen Baum erfasst und Informationen über Art, Größe und andere Merkmale gesammelt hat”, erklärt
Gattis Kollege Jingjing Liang, Koordinator der Global Forest Biodiversity Initiative.
Viele Daten solcher Erhebungen wurden jedoch bisher nicht veröffentlicht und von den Wissenschaftlern nur auf Nachfrage oder im Rahmen spezieller Projekte geteilt. “Es gab keinen zentralen Speicherort für die wertvollen Daten, die diese Menschen gesammelt haben”, sagt Liang. Er machte es sich daher zur Aufgabe, eine solche zentrale Datenbank aufzubauen. Mit rund 38 Millionen kartierten und erfassten Bäumen aus 90 Ländern ist die GFBI-Datenbank der bisher größte globale Speicher zu Informationen über Bäume weltweit. Durch Kombination mit einer zweiten großen Datensammlung konnte das Team dies noch erweitern. Im nächsten Schritt teilten Gatti und seine Kollegen die globale Landoberfläche in 9353 Rasterzellen von 100 mal 100 Kilometer Größe ein und nutzten ein statistisches Verfahren, um die Zahl der Baumarten auf Biom-, Kontinent- und Weltebene abzuschätzen.
Südamerika hat die meisten Baumarten
Die Auswertungen ergaben, dass es weltweit mindestens 73.274 Baumarten gibt, davon sind rund 9200 bisher noch nicht entdeckt oder beschrieben. “Die absolute Zahl der Baumarten ist damit beträchtlich höher als zuvor angenommen, es sind 14,3 Prozent mehr Arten als der Forschung bekannt waren”, schreiben Gatti und seine Kollegen. Die größte Artenvielfalt findet sich dabei in den Tropenwäldern vor allem Südamerikas: “43 Prozent aller Baumarten wachsen in Südamerika, gefolgt von Eurasien mit 22 Prozent, Afrika 16 Prozent und Nordamerika mit 15 Prozent”, berichtet das Team. Südamerika ist auch der Kontinent mit dem höchsten Anteil von nur dort vorkommenden Spezies – knapp die Hälfte aller dort wachsenden Baumarten sind für den Kontinent endemisch. Dort könnten zudem noch mehr als 4000 Baumarten unentdeckt sein. “Viele von ihnen wachsen wahrscheinlich im Amazonasbecken und in den Anden und damit in Hotspots der Artenvielfalt”, erklärt Co-Autor Peter Reich von der University of Michigan.
Die Auswertungen ergaben zudem, dass zwar viele Wälder von wenigen häufigen Arten dominiert werden, dass aber seltene, mit wenigen Exemplaren vertretene Arten immerhin rund ein Drittel der globalen Baumarten-Vielfalt ausmachen. Einige kamen nur ein oder zweimal im gesamten Datenbestand vor, wie die Forscher berichten. “Das unterstreicht die Anfälligkeit der globalen Walddiversität gegenüber anthropogenen Veränderungen, vor allem durch Landnutzung und Klima”, sagt Reich. “Denn das Überleben seltener Spezies ist überproportional durch solche Faktoren bedroht.” Das Forschungsteam hofft, dass ihre Ergebnisse dazu beitragen können, das Wissen um die arboreale Vielfalt, aber auch den Schutz der Wälder voranzubringen.
Quelle: Roberto Cazzolla Gatti (Purdue University, West Lafayette) et al., Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2115329119