Normalerweise sind auch Tiere eher bequem und vermeiden überflüssige Anstrengung bei der Nahrungssuche. Bei domestizierten und in Gefangenschaft gehaltenen Tieren kann sich das aber umkehren, wie nun ein Experiment mit Ziegen bestätigt. Diese wählten oft freiwillig das Futter, für das sie sich mehr anstrengen mussten – offenbar verschaffte ihnen dies eine Befriedigung. Das sollte laut der Forscher für eine tiergerechte Haltung berücksichtigt werden.
Tiere folgen typischerweise dem Instinkt, sich die Nahrungsquelle zu sichern, die sie mit möglichst wenig Aufwand erreichen. Denn wenn sie mehr Energie verbrauchen, müssen sie auch entsprechend mehr fressen. Forscher konnten jedoch beobachten, dass zum Beispiel domestizierte Schweine, Rinder und Ziegen oder wilde Zootiere dieser Maxime nicht immer folgen. Sie wählen oft das Futter, das schwerer zu bekommen ist. Dahinter steckt das sogenannte „Contrafreeloading“.
“Dieser Begriff beschreibt das Verhalten von Tieren, sich lieber anzustrengen, um eine begehrte Ressource zu finden, als sie vorgesetzt zu bekommen”, erklärt Nina Keil vom Forschungsinstiut Agroscope in schweizerischen Ettenhausen. Diese Eigenart könnte laut Wissenschaftlern auf den instinktiven Drang der Tiere zurückgehen, möglichst viele Informationen über ihre Umgebung zu sammeln. Tun sie dies in Zeiten reichlicher Nahrungsverfügbarkeit, kann ihnen diese Information später bei Futtermangel zugute kommen, so die Theorie.
Hochgezüchtete Milchziegen im Test
Ob das Verhalten auch bei Nutztieren vorkommt, die stets reichlich Futter bekommen und für hohe Produktivität gezüchtet wurden, haben nun Forscher um Katrina Rosenberger von der Universität Bern untersucht. Dafür testeten sie 27 Nigerianische Zwergziegen, eine noch relativ ursprüngliche Ziegenrasse, und 30 Milchziegen die auf hohe Milchleistung hin gezüchtet wurden. Sie beobachteten jedes Huftier zehn Mal dabei, ob es sich für frei verfügbares Futter oder für Nahrung hinter einer geschlossenen Schiebetür entschied. Um an das Futter hinter der Tür zu kommen, mussten die Vierbeiner diese mit dem Maul beiseiteschieben. Die geschlossene Tür wechselte dabei bei jedem Durchlauf die Position. Die Forscher dokumentierten auch, ob sich die Ziegen schnell oder langsam auf die Nahrung zubewegten.
Es zeigte sich: „In dieser Versuchsanordnung entschieden sich die Ziegen beider Zuchtlinien in knapp der Hälfte der Fälle für die zweite Option. Sie stellen sich also gerne solchen Herausforderungen”, berichten die Wissenschaftler. Sie stellten fest, dass von den 57 beobachteten Ziegen 53 motiviert waren, mindestens ein von zehn Mal mit dem Maul die Schiebetüre zu öffnen, um die Belohnung zu erhalten.
Milchziegen an der Herausforderung interessiert
Interessant jedoch: Das Verhalten der beiden Ziegengruppen war im Verlauf des Experiments unterschiedlich. Die Zwergziegen wählten erst zögerlich, dann zunehmend häufiger die geschlossene Tür. Daraus schließen die Forscher, dass sie zwar grundsätzlich positiv auf die Herausforderung reagieren, aber erst Zeit brauchen, sich der Aufgabe zu stellen und sich daran zu gewöhnen. Bei den Milchziegen hingegen blieb das Interesse an der geschlossenen Tür immer gleich. Sie gingen von Anfang an meist schneller auf die geschlossene Tür zu als auf die frei verfügbare Nahrung. Laut Rosenberger und ihrem Team könnte das ein Hinweis auf eine gesteigerte Motivation für die Herausforderung sein.
„Mit dem Interesse der Zwergziegen hatten wir gerechnet, da es bereits bei einem ähnlichen Experiment beobachtet worden war”, erklärt Rosenberger. “Überrascht waren wir hingegen von den Milchziegen: Wir hatten erwartet, dass die für hohe Milchleistung gezüchteten Nutztiere ihre Energie sparen und weniger motiviert sein würden, sich für eine Belohnung anzustrengen. Vor allem, wenn dieselbe Belohnung auch ohne Anstrengung zur Verfügung steht.”
Die Resultate legen insgesamt nahe, dass das „Contrafreeloading“ auch bei Tieren vorkommt, die auf hohe Leistung gezüchtet wurden. Die Forscher raten dazu, dieses Verhalten nun auch bei der Haltung dieser Tiere zu beachten. “Eine tiergerechte Haltung sollte auch die kognitiven Bedürfnisse von Tieren berücksichtigen“, erklärt Keil. “Wir nehmen an, dass die Tiere diese Verhaltensweise an den Tag legen, weil das Lösen einer Aufgabe und die damit verbundene Kontrolle über ihre Umwelt positive Gefühle auslösen. Sie ziehen daraus wohl eine Befriedigung, die die zusätzliche Anstrengung aufwiegt“, so Keil. „Wir müssen das Experiment jetzt unter realen Bedingungen auf einem Bauernhof und über längere Zeit wiederholen, um zu sehen, wie sich die Motivation der Tiere entwickelt.” Unbekannt ist auch noch, ob das Verhalten bei wilden Tieren in freier Natur zu beobachten ist.
Quelle: Schweizerischer Nationalfonds, Fachartikel: Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-020-78931-w