Sie wird die „Mutter der Ameisen“ genannt: Eine Schlangenart, die in den Nestern von Ameisen Madagaskars lebt, besitzt eine erstaunliche Beziehung zu ihren „Kindern“, berichten Forscher: Sie ist bei den Ameisen willkommen, da sie sich von Schlangen ernährt, die es wiederum auf die Brut der Völker abgesehen haben, legen die Ergebnisse nahe. Den Beobachtungen zufolge können die Ameisen genau zwischen den verschiedenen Schlangenarten unterscheiden.
Wenn man sie stört, kann es unangenehm werden – Ameisen sind wehrhaft, das kann sogar der Mensch gelegentlich zu spüren bekommen. Die staatenbildenden Insekten haben teils komplexe Verhaltensweisen und Systeme entwickelt, um sich gegen Störenfriede oder Räuber zu verteidigen. Das ist auch nötig, denn zahlreiche Tierarten haben es auf die Krabbler oder ihre Brut abgesehen. Forscher haben bereits viele teils skurrile Strategien aufgedeckt, mit denen sich manche Ameisenarten zur Wehr setzen: Sie beißen, stechen, sprühen Gift oder explodieren sogar im Kamikaze-Stil. Außerdem zeigen viele Arten komplexe Verhaltensweisen bei der Verteidigung oder in einer bedrohlichen Situation. Mit ihrer Studie haben die Forscher um Teppei Jono von der Universität Kyoto den bekannten Verteidigungsstrategien im Reich der Ameisen nun ein weiteres interessantes Beispiel hinzugefügt.
Was hat es mit der „Mutter der Ameisen“ auf sich?
Im Fokus ihrer Studie stand eine Ameisenart, die auf der Insel Madagaskar beheimatet ist: Aphaenogaster swammerdami bildet Kolonien mit einem einzigen vergleichsweise großen Eingang, die bis zu 1500 Individuen umfassen können. Es ist bekannt, dass in diesen Nestern häufig eine Schlangenart ihr Quartier bezieht – das hat Madagascarophis colubrinus bei den Einheimischen der Insel den Spitznamen „Mutter der Ameisen“ eingebracht. Es handelt sich um eine Art, die sich von Wirbeltieren ernährt – unter anderem von anderen Schlangen. So kam den Forschern der Verdacht, dass es möglicherweise eine spezielle Beziehung zwischen dem Reptil und den Ameisen geben könnte. Konkret: Möglicherweise schützt sie die Insekten vor Schlangen, die es auf ihre Brut abgesehen haben. In Frage kam dafür wiederum die Schlangenart Madatyphlops decorsei.
Um ihrer Vermutung nachzugehen, führten die Wissenschaftler Verhaltensexperimente durch: Sie untersuchten, wie die Madatyphlops-Ameisen reagieren, wenn sie mit der „Mutter der Ameisen“ konfrontiert werden, oder aber mit der Ameisen-Fresserin. Zusätzlich beobachteten sie auch das Verhalten bei Kontakt mit einer Kontroll-Schlangenart: Thamnosophis lateralis hat keinen Bezug zu den Ameisen – sie ist auf Frösche als Beute spezialisiert. Für ihre Untersuchungen platzierten die Wissenschaftler jeweils eine der Schlangen vor den Eingängen ihrer Versuchsvölker und erfassten das Verhalten der Ameisen mittels Videokameras.
Freier Zugang – oder aber Evakuierungsalarm
Wie sie berichten, zeigten die Aufnahmen: Jede Schlange wurde von den Ameisen am Eingang zunächst mit den Fühlern untersucht. Im Fall von Madagascarophis colubrinus – der „Mutter der Ameisen“ reagierten die Insekten nach dem Check entspannt und attackierten sie nicht. Bei der Kontrollschlange zeigten sie sich hingegen unfreundlich: Obwohl sie keine direkte Bedrohung darstellt, zwickten sie Thamnosophis lateralis, um sie vom Eingangsbereich zu vertreiben.
Doch im Fall der Ameisenfresserin Madatyphlops decorsei ging das Verhalten deutlich über diese Abwehr hinaus, zeigten die Aufnahmen: Sobald die Räuberin identifiziert war, heulten im Ameisenstaat gleichsam die Sirenen – Evakuierung war angesagt. Alle verfügbaren Ameisen rannten nun ins Nest und schleppten die Larven und Puppen des Volks ins Freie und schließlich zu erhöhten Stellen wie etwa Grashalmen, um sie vor der räuberischen Schlange in Sicherheit zu bringen.
Wie die Forscher erklären, zeichnet sich somit klar ab: Die Ameisen können zwischen den drei Schlangenarten unterscheiden – sie reagieren beim Kontakt mit speziellen Verhaltensweisen. Die Tatsache, dass sie Madagascarophis colubrinus im Gegensatz zu der Kontrollschlange nicht attackieren und sie in ihren Bau einziehen lassen, legt nahe, dass sich eine beiderseitig vorteilhafte Beziehung entwickelt haben: Die Schlange schützt die Völker vor Angriffen der Madatyphlops-Schlangen und bekommt dabei gleichzeitig ihr eigenes Futter serviert.
Den Forschern zufolge ist die Verbindung möglicherweise kein Einzelphänomen: Auch von anderen Ameisenarten ist bekannt, dass sich bestimmte Schlangen in ihren Bauten einquartieren. Dieser Spur wollen Jono und seine Kollegen nun weiter nachgehen – sie wollen sich auch weiterhin den interessanten und skurrilen Beziehungen zwischen Schlangen und Ameisen widmen.
Quelle: Royal Society Open Science, doi: 10.1098/rsos.190283