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Alpen: Pflanzen verstärken Wassermangel

Erde|Umwelt

Alpen: Pflanzen verstärken Wassermangel
Alpenfluss
Trockener Fluss in den Alpen. (Bild: gkuna/ iStock)

Die Flüsse und Seen der Alpen sind eine wichtige Wasserquelle für weite Teile Europas. Doch ein paradoxer Effekt könnte in Zukunft den Wassernachschub erheblich verringern: Wenn es wärmer und trockener wird, graben die Alpenpflanzen den Bergbächen und -flüssen förmlich das Wasser ab. Denn statt zu sparen, verdunsten sie so viel Wasser, dass auch die letzten Reserven im Boden erschöpft werden, wie eine Studie enthüllt. Bei fortschreitender Erwärmung könnte dies den Wassermangel noch verstärken.

Typischerweise schalten Pflanzen in Zeiten der Trockenheit auf Sparflamme: Sie wachsen langsamer, verringern ihren Stoffwechsel und schließen ihre Spaltöffnungen, um Wasserverlust durch Verdunstung zu minimieren. Während einer Dürreperiode sinkt deshalb die sogenannte Evapotranspiration, die Verdunstung von Wasser aus Vegetation und Boden. Forscher bezeichnen diesen Anteil des Wasserkreislaufs auch als “grünes Wasser”.

Mehr “grünes” Wasser statt weniger?

Bisher war jedoch unklar, ob dieses pflanzliche Sparprogramm auch in Gebirgen greift – in den Zonen, in denen dichte Bergwälder die Hänge bedecken. Beobachtungen aus dem Hitzesommer des Jahres 2003 und weiteren Jahren deuteten allerdings bereits daraufhin, dass die Alpenpflanzen offenbar anders reagieren. Demnach scheinen Bergwälder und Almwiesen bei Trockenheit sogar mehr Wasser zu verdunsten als normalerweise. Offenbar begünstigen Wärme und viel Sonnenschein in den höheren Lagen das Pflanzenwachstum so stark, dass die Pflanzen trotz Wassermangel auf ihr Sparprogramm verzichten. Stattdessen saugen sie quasi den letzten Tropfen Wasser aus dem Boden.

Doch sind diese Einzelbeobachtungen auf die gesamten Alpen übertragbar? Und was bedeutet dies für die Vegetation und den Wasserabfluss dieser Gebirgsregion? Um das zu klären, hat nun ein Forscherteam unter Leitung von Simone Fatichi von der ETH Zürich erstmals das “grüne” Wasser der Alpen näher unter die Lupe genommen. Für ihre Studie nutzten sie Wetter- und Abflussdaten von mehr als 1200 Messtationen aus dem gesamten Alpenraum. Diese speisten sie in ein Modell ein, dass Wachstum und Verhalten der Gebirgsvegetation beschreibt. Damit konnten die Wissenschaftler berechnen, wie groß in heißen und trockenen Sommern der Anteil des “grünen” Wassers gegenüber dem “blauen” Wasser – dem Abfluss von Wasser in Bächen, Flüssen und Seen – ist. Zusätzlich simulierten sie die Entwicklung bei einer Erwärmung um drei Grad, wie sie für Ende dieses Jahrhunderts vorhergesagt wird.

Bergvegetation gräbt Bächen das Wasser ab

Die Auswertungen bestätigten, dass die Evapotranspiration der bewaldeten Berghänge in trockenen, heißen Sommern überproportional stark ansteigt. Im Sommer 2003 verloren die Alpen dadurch allein im Bereich zwischen 1300 und 300 Höhenmetern zusätzliche vier Kubikkilometer Wasser, wie die Forscher berichten. Dies verstärkte den Wassermangel durch die fehlenden Niederschläge um rund 22 Prozent. Durch die Kombination von Dürre und verstärkter Verdunstung durch die Vegetation führten die Fließgewässer der Alpen im Sommer 2003 im nur die Hälfte der sonst üblichen Wassermenge. “Die Vegetation dieser Höhenlage war also maßgeblich daran beteiligt, den halb ausgetrockneten Flüssen und Bächen das Wasser abzugraben”, sagt Fatichi.

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Durch den Klimawandel könnte ein solcher Wasserverlust in Zukunft häufiger vorkommen, wie die Simulationen ergaben. Demnach könnte eine Erwärmung der Jahresmitteltemperaturen um drei Grad die jährliche Evapotranspiration in den Alpen um sechs Prozent erhöhen. Dies entspricht einem jährlichen Rückgang der Niederschlagsmenge um durchschnittlich 45 Liter pro Quadratmeter – drei bis vier Prozent des Jahresniederschlags. Dadurch könnte sich die Balance zwischen an die Atmosphäre verlorenem Wasser und dem in Gebirgsgewässern landenden Wasser weiter verstärken: “Es wird aufgrund der Tendenz zu warmen und trockenen Sommern eine Verschiebung von blauem zu grünem Wasser geben”, sagt Fatichi. Dies gefährde langfristig die Wasserversorgung der tiefer gelegenen Regionen innerhalb und am Rand der Alpen. Die Abflussmengen in Flüssen und Bächen geraten dadurch künftig noch stärker unter Druck.

Diese Entwicklung wäre nicht nur ein Problem für die Alpenregion selbst: Auch die gesamten umliegenden Regionen wären davon betroffen: “Die Alpen tragen einen überproportional großen Wasseranteil zu vier großen europäischen Strömen bei, Rhein, Rhone, Inn und Po, in deren Einzugsbereich mehr als 170 Millionen Menschen leben”, erklären die Forscher. Wegen ihrer Bedeutung für die Wasserversorgung werden die Alpen daher oft auch als “Wasserturm Europas” bezeichnet. Doch durch die Klimaerwärmung, den schwindenden Niederschlag, das Abtauen der Gebirgsgletscher und die steigende Evapotranspiration der Pflanzen könnte der Wassernachschub aus den Alpen künftig knapp werden, warnen Fatichi und seine Kollegen.

Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich); Fachartikel: Nature Climate Change, doi: 10.1038/s41558-019-0676-5

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