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Zement nach dem Vorbild des Seeigelstachels

Technik|Digitales

Zement nach dem Vorbild des Seeigelstachels
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Biege-Experiment im Rasterelektronenmikroskop: Der aus einem Partikel herausgeschnittene Balken aus nanostrukturiertem Zement biegt sich unter dem Druck eines Mikromanipulators (links), ohne zu brechen. (Bild: Dr. Zhaklina Burkhard)
Wie Speere ragen sie aus dem rundlichen Meerestier hervor: Mit seinen Stacheln schützt sich der Seeigel vor hungrigen Mäulern. Das Geheimnis der erstaunlichen Bruchfestigkeit dieser filigranen Kalkstrukturen hat Forscher nun zur Entwicklung einer extrem bruchfesten Version von Zement inspiriert. Wie das natürliche Vorbild besitzt das Material auf der Nano-Ebene eine “Ziegelstein-Mörtel-Struktur”. Es handelt sich um einen vielversprechenden Schritt zum Ziel, Zement und damit vor allem Beton bruchfester zu machen.

Er ist spröde und brüchig: Kalk allein taugt nicht viel – erst Kombinationen mit anderen Materialien und spezielle Konfigurationen machen dieses Material zu einer Grundlage für stabile Strukturen. Was man im menschlichen Bauwesen schon lange weiß, kennt die Natur schon viel länger – und besser: Die Stacheln der Seeigel bestehen ebenfalls zum größten Teil aus Kalk, besitzen aber durch ein spezielles Konzept erstaunliche Festigkeit, wie die Forscher um Helmut Cölfen von der Universität Konstanz erklären. Das Geheimnis liegt demnach im Feinbau: Eine “Backsteinmauer-Architektur” auf der Nano-Ebene sorgt für Bruchfestigkeit von Grund auf.

Ziegelstein-Mörtel-Struktur auf der Nano-Ebene

Den Forschern zufolge ist die Struktur vergleichbar mit dem Werk eines Maurers: Er setzt Stein auf Stein, wobei er die einzelnen Steinschichten mit Mörtel verbindet: nach dem Prinzip hart – weich – hart – weich. Im Fall des Seeigelstachels sind auf der Nano-Ebene dementsprechend kristalline Elemente in geordneter Struktur von einem weicheren Bereich unterfüttert. Wenn hier Kräfte auf den brüchigen Kalk einwirken, bricht der kristalline Baustein zwar, die Energie trifft dann aber auf eine weiche Schicht. Da diese keine Spaltebene hat, breitet sich der Riss nicht weiter aus. Diese Bauprinzip ist beim Seeigelstachel besonders ausgeprägt, findet sich aber beispielsweise auch bei Muschelschalen oder in Knochenstrukturen, sagen die Materialwissenschaftler.

Der Arbeitsgruppe um Cölfen ist es nun gelungen, dieses “Ziegelstein-Mörtel-Prinzip” für das Baumaterial Zement im Nano-Maßstab nachzubauen. Der Knackpunkt war dabei: Sie
fanden Makromoleküle, die die Funktion des Mörtels übernehmen und die kristallinen Bausteine im Nano-Maßstab verkleben, wobei diese sich von selbst ausrichten. Wie die Forscher erklären, handelt es sich dabei um den zentralen Unterschied zum herkömmlichen Zement. Dieser Baustoff besitzt eine ungeordnete Struktur – alles klebt mit allem zusammen. “Auf der Nano-Ebene schon die Bruchfestigkeit codieren”, beschreibt Cölfen die Herausforderung, der sich sein Team offenbar erfolgreich gestellt hat. Wie sie berichten, entdeckten sie zehn negativ geladene Makromoleküle, die an den Zement-Nanopartikeln und nichts anderem im Zement haften.

Biegetests mit beeindruckenden Resultaten

Mit diesen Elementen konnten die Wissenschaftler kleine Stücke von nanostrukturiertem Zement herstellen. Doch hält das Material auch, was es verspricht? Um dies zu testen, wurde mit Hilfe eines Ionenstrahls eine Mikrostruktur aus dem nanostrukturierten Zement ausgeschnitten: ein drei Mikrometer langer Balken. Durch einen sogenannten Mikromanipulator drückten die Forscher diesen Balken nach unten und ließen ihn anschließend wieder in die Ausgangsposition zurückschwingen.

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Die Analyse der dabei erhaltenen Daten lieferte beeindruckende Resultate: Danach kommt der optimierte Zement auf einen Wert von 200 Megapascal. Zum Vergleich: Gängiger Beton hat den Wert von zwei bis fünf Megapascal. “Unser Zement ist deutlich bruchfester ist als alles, was in diesem Bereich bislang bekannt ist. Er könnte somit neue Möglichkeiten eröffnen”, sagt Cölfen. Ihm zufolge könnte man mit diesem Zement theoretisch eine Säule errichten, die erst ab einer Höhe von achttausend Metern unter ihrem eignen Druck am unteren Ende brechen würde. Dies wäre zehnmal höher als das bisher höchste Gebäude der Welt. Man darf also gespannt sein, was sich aus dem Konzept der Konstanzer Forscher entwickeln wird.

Originalarbeit der Forscher:

© wissenschaft.de – Martin Vieweg
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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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