Ein Gummiball, Haut oder ein Stück Lehm – welche Faktoren beeinflussen, wie weich wir etwas bei der Berührung mit den Fingerspitzen wahrnehmen? In diese Frage haben Forscher nun neue Einblicke gewonnen. Sie konnten das Prinzip hinter dem Weichheits-Empfinden sogar durch Formeln beschreiben. Ihre Ergebnisse könnten nun der Entwicklung von Materialien mit optimierten taktilen Merkmalen zugutekommen – wie etwa für die Oberflächen von Prothesen oder in der Robotik.
In den Ingenieurwissenschaften lässt sich die Weichheit beziehungsweise Elastizität von Materialien vergleichsweise einfach bestimmen – durch die Verformbarkeit des jeweiligen Objekts: Messgeräte erfassen dabei die Eindringtiefe und die Veränderung der Kontaktfläche bei unterschiedlichen Krafteinwirkungen. Doch wie ist das bei der menschlichen Wahrnehmung? Man nimmt an, dass auch unser Tastsinn diese beiden Faktoren als Informationsquelle für das Weichheits-Empfinden nutzt.
Wenn wir beispielsweise ein weiches Stück Gummi betasten, verändert sich die Eindrucktiefe abhängig von der Kraft, die wir über die Fingerspitzen ausüben. Je tiefer sie einsinken, desto größer wird dabei auch der Kontaktbereich mit der Oberfläche des Objekts. Bisher war allerdings unklar, welche Rolle die Eindringtiefe und die Veränderung der Kontaktfläche tatsächlich bei der menschlichen Wahrnehmung spielen. Denn beide Aspekte lassen sich schwer voneinander trennen: Sie ändern sich normalerweise gleichzeitig, wenn eine Fingerspitze in ein Objekt drückt.
Regeln der Wahrnehmung auf der Spur
Um den Regeln der menschlichen Wahrnehmung der Weichheit genauer auf den Grund zu gehen, haben die Wissenschaftler um Charles Dhong von der University of California in San Diego spezielle Testmaterialien für Experimente hergestellt. Es handelte sich um Elastomerplatten mit jeweils einem einzigartigen Verhältnis von Eindringtiefe zu Kontaktfläche. Dies ermöglichte es, die Bedeutung dieser beiden Parameter für die menschliche Wahrnehmung zu entkoppeln.
Wie die Forscher erklären, war die Mikrostrukturierung der Schlüssel zum Design der Testobjekte. Die Oberflächen waren mit erhabenen mikroskopischen Säulen besetzt. Diese winzigen Strukturen ermöglichten es, dass eine Fingerspitze eindringt, ohne dass sich dabei die Kontaktfläche ändert. Das Prinzip ähnelt dabei dem Drücken gegen die Metallstifte eines Pinscreen-Spielzeugs, bei dem mehrere Stifte eingedrückt werden, um ein 3D-Abbild zu erzeugen, erklären die Wissenschaftler.
Für die Tests betasteten 15 Probanden die von den Forschern designten Oberflächen mit ihren Fingerspitzen. Bei einem Ansatz sollten sie jeweils bestimmen, welches von zwei Testobjekten sich weicher anfühlt. Bei der zweiten Aufgabe sollten sie dann neun unterschiedliche Testplatten betasten und sie in eine Reihe ordnen – von weich bis hart. Wie die Wissenschaftler berichten, zeichnete sich ab, dass sowohl die Wahrnehmung von Eindringtiefe als auch die Veränderung der Kontaktoberfläche zum Empfinden von Weichheit führen. Nur ein Aspekt erzeugt dagegen nicht den vollen Effekt. Die beiden Reize werden offenbar im Rahmen des Tastsinns des Menschen miteinander verknüpft und führen dann zur Wahrnehmung der Weichheit, erklären die Forscher.
Ergebnisse mit Potenzial
Wie sie betonen, ließen sich die Empfindungen der Probanden klar mit den jeweiligen Merkmalen der Testmaterialien verknüpfen, sodass es möglich war, Gesetzmäßigkeiten zu erfassen. Basierend auf diesen Ergebnissen erstellten die Forscher Gleichungen, die berechnen können, wie weich oder hart sich ein Material anfühlt – basierend auf der Materialdicke, Elastizität und Strukturierung. Umgekehrt können diese Gleichungen auch eingesetzt werden, um beispielsweise zu berechnen, wie dick oder strukturiert ein Material sein muss, um ein bestimmtes Maß an Weichheit zu vermitteln.
“Wir sind zu Formeln gekommen, durch die sich verschiedene Grade für die Empfindung von Weichheit herstellen lassen. Wir schließen damit eine Lücke im Wissen darüber, was nötig ist, um bestimmte Berührungsmerkmale nachzubilden“, resümiert Dhong. Die Ergebnisse könnten somit der Gestaltung taktiler Materialien zugutekommen, die besonders realistische Berührungsempfindungen ermöglichen. Davon könnte beispielsweise die Entwicklung von künstlicher Haut, von Prothesen oder medizinischen Robotern profitieren, sagen die Wissenschaftler.
Quelle: University of California – San Diego, Fachartikel: Science Advances; 2019;5:eaaw8845