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Warnsignal

Technik|Digitales

Warnsignal
Autos sollen künftig selbstständig miteinander kommunizieren, um vor Gefahr zu warnen oder Hinweise auf den Verkehr zu geben.

Die Situation kennt jeder Autofahrer: Man hört plötzlich eine Unfallsirene und reckt den Hals – doch es ist nicht auszumachen, woher das Martinshorn kommt. Und man weiß nicht, wie man reagieren soll. In Zukunft soll das anders sein: Das Display des Fahrzeugs soll anzeigen, aus welcher Richtung sich der Krankenwagen oder das Polizeiauto nähert.

Wenig später folgt dann vielleicht schon die nächste Warnung: „ Unfall in zwei Kilometern” – eine Information, die auch an die folgenden Wagen weitergereicht wird. Funktionieren soll das Ganze so: Ein Auto sendet die Warnmeldung, ein anderes Fahrzeug empfängt sie, wertet den Hinweis aus und gibt ihn weiter – stille Post auf der Straße, elektronisch und blitzschnell.

Ein Vorteil dieser Technologie, die gerade in den Forschungslabors von Automobilherstellern, Elektronikunternehmen und an Universitätsinstituten heranreift: Der Bordcomputer kennt keine Schrecksekunde, die jeder Mensch überstehen muss, bevor er auf die Bremse tritt. Die Elektronik reagiert ohne Zögern und stets vorausschauend. „Sie unterstützt den Fahrer und bereitet ihn frühzeitig auf potenzielle Gefahren vor”, sagt der Informatiker Karsten Roscher, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Geschäftsfeld Automotive der Fraunhofer-Einrichtung für Systeme der Kommunikationstechnik (ESK) in München.

„Neben unseren Anstrengungen zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs und der CO2-Emissionen ist die Vernetzung der Autos derzeit das herausragende Thema”, betont der Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA) Matthias Wissmann. „Was sich hier abspielt, ist nichts weniger als eine Revolution in den Köpfen von Automobilherstellern, Zulieferern und Autofahrern: Das Auto wird sich in den nächsten Jahren zur mobilen Kommunikationszentrale entwickeln.”

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Ziel: weniger Verkehrstote

Obwohl moderne Fahrzeuge hohe Sicherheitsstandards erfüllen und die Zahl der Unfalltoten seit Jahrzehnten sinkt, sterben in Deutschland immer noch jedes Jahr fast 5000 Menschen bei Verkehrsunfällen, EU-weit sind es etwa 40 000. Über 400 000 Menschen werden jährlich allein in Deutschland verletzt. Andererseits verursachen Verkehrsunfälle enorme Kosten: weltweit pro Jahr etwa 750 Milliarden Euro. Um diese Zahlen zu verringern und den Straßenverkehr sicherer zu machen, arbeiten Forscher der Fraunhofer ESK an innovativen Konzepten für die sogenannte Car-to-X-Kommunikation (kurz: C2X): Durch die Vernetzung von Autos untereinander sowie mithilfe spezieller Vermittlungsstationen entlang der Straßen, den „Roadside Stations” (RSU) und zentraler Verkehrsleitstellen, sollen die Autofahrer künftig stets über den aktuellen Zustand von Verkehr und Straße informiert sein. Der Zusatz „X” verdeutlicht, dass sich neben Autos etwa auch Notrufzentralen und Einrichtungen zur automatischen Verkehrssteuerung in das System einbinden lassen. Selbst mit Ampeln, Verkehrszeichen und Bahnschranken könnten Fahrzeuge künftig kommunizieren.

Gemeinsam mit Universitäts- und Industrieforschern entwickeln die ESK-Experten ein System, das die Kommunikation zwischen einer elektronischen Einheit im Fahrzeug und der Außenwelt ermöglicht und strukturiert. „Dieses System beruht auf einem eigens dafür geschaffenen WLAN-Funkstandard, der mit Satellitennavigation per GPS kombiniert wird”, erklärt Roscher. Das Besondere daran: Der Fahrzeugfunk nutzt ein Frequenzband um 5,9 Gigahertz, das nur dafür reserviert wurde und ausschließlich von C2X-Anwendungen belegt werden darf. Das hat vor allem den Hintergrund, dass WLAN-Nutzer wie Notebook-Besitzer, die mit ihrem Rechner kabellos ins Internet gehen, im ausgiebig verwendeten 2,4 Gigahertz-Band die Kommunikation zwischen den Fahrzeugen nicht stören sollen.

„Die Position des Fahrzeugs sowie Messdaten von Sensoren über Geschwindigkeit, Beschleunigung oder Fahrtrichtung können per Funk an die Roadside Units gemeldet werden”, erklärt der Fraunhofer-Forscher. Auch Messdaten des Außenthermometers und Informationen darüber, ob das Warnblinklicht eingeschaltet ist, fließen mit ein. Die Übertragung der Daten erfolgt anonymisiert. Im Gegenzug erhalten die Autos von den Kommunikationsknoten am Wegesrand aktuelle Hinweise auf Straßenzustand, Unfälle und Staus – oder Tipps für das optimale Tempo, um auf der „grünen Welle” mitzuschwimmen.

Tipps übers Mobilfunknetz

Während sicherheitsrelevante Anwendungen wie Warnungen vor einem Unfall oder Tieren auf der Fahrbahn, vor Glatteis, Nässe oder Schlaglöchern über den speziellen WLAN-Standard laufen, kommt für sogenannte Mehrwertdienste – die nicht direkt mit dem Straßenverkehr zu tun haben, sondern etwa den Weg zur nächsten Tankstelle oder zu einem Hotel weisen – auch Mobilfunktechnologie wie UMTS und GPRS zum Einsatz. In Gegenden mit geringer oder fehlender Ausstattung mit vermittelnden Basisstationen lassen sich so Lücken in der Funkverbindung überbrücken.

Beim automobilen Getuschel mit der Car2X-Technologie haben die Entwickler drei Arten von Nachrichten im Fokus:

• Periodische, standardisierte Meldungen, die jedes Auto bis zu zehnmal pro Sekunde an andere Fahrzeuge und an die RSUs abgibt. Dazu gehören etwa Position, Fahrtrichtung und Geschwindigkeit des Wagens. Die Summe vieler solcher Meldungen liefert ein Bild von der Verkehrssituation an besonders gefährdeten Stellen wie Autobahneinfahrten.

· Ereignisbasierte Nachrichten wie der Hinweis auf einen Unfall. Darin kann der Wagen, von dem die Warnung ausgeht, selbst verwickelt sein – oder eine RSU hat den Unfall daran erkannt, dass mehrere Fahrzeuge gleichzeitig abrupt abbremsten. Auch Staus werden erfasst, weil dann viele Autos stehen bleiben, oder eine rutschige Straße, weil das ESP – das gegen Schleudern wirkende Elektronische Stabilitäts-Programm – in den Fahrzeugen anspringt. Damit das C2X-System nicht zusammenbricht, wenn viele Fahrzeuge zum Stehen kommen, suchen die Forscher nach Methoden zur „ kontextsensitiven Aggregation” der Nachrichten. Das bedeutet, dass verschiedene Nachrichten gleichen Typs zusammengefasst und nach Relevanz gefiltert werden, um die Netze nicht zu überlasten. So lassen sich Meldungen über weit entfernte Ereignisse, die für den Fahrer unwichtig sind, blockieren.

· Applikationsnachrichten – etwa Informationen über Ampelphasen, die Fahrzeuge untereinander austauschen. Neben Verkehrsinformationen, die Basisstationen an der Straße auch aus anderen Quellen wie dem Rundfunk oder von einer Verkehrszentrale beziehen können, sind sogenannte Infotainment-Dienste denkbar. Sie könnten zum Beispiel über die aktuellen Benzinpreise der umliegenden Tankstellen oder Sehenswürdigkeiten in der Umgebung informieren. Solche Anwendungen und die dazu nötige Software sollen sich bei Bedarf auf das System laden lassen.

Damit alle Hersteller solche Systeme nutzen können, müssen die Kommunikationsprotokolle – also die „Sprache”, in der die technischen Systeme miteinander reden – standardisiert werden. Die Fraunhofer ESK wirkt an diesem Prozess mit. Sie ist Mitglied im Car2Car Communication Consortium, in dem sich neben der Fraunhofer-Gesellschaft etliche Fahrzeughersteller, Zulieferer sowie Universitäten und Hochschulen aus mehreren europäischen Ländern zusammengeschlossen haben. Unterstützt wird das Projekt auch durch das Land Hessen und den Verband der Automobilindustrie.

Entscheidend für den Nutzen der neuen Technologie ist, dass möglichst viele Fahrzeuge und Infrastruktureinrichtungen wie Ampeln und Parkhäuser damit ausgestattet sind. Bei der elektronischen Kommunikation ausschließlich zwischen Fahrzeugen sollten mindestens 10 bis 15 Prozent der Wagen über die nötige technische Ausrüstung verfügen, um eine zuverlässige und genaue Datengrundlage zu haben, wie die bisherigen Forschungsergebnisse gezeigt haben.

Nach drei Jahren intensiver Forschung startete Anfang August 2012 in Südhessen der weltweit bislang größte Feldversuch zur Car-to- X-Kommunikation. Das Projekt heißt „sim-TD” („Sichere Intelligente Mobilität – Testfeld Deutschland”). Rund 120 Fahrzeuge testen im Rhein-Main-Gebiet die neue Technologie – und das erstmals im Straßenverkehr. Der Feldversuch soll prüfen, ob die Idee der selbstständigen Kommunikation zwischen Autos technisch funktioniert und bereits marktreif ist.

Möglichst schnell und sicher

Dazu übermitteln die Testwagen Informationen zur Verkehrslage an eine Versuchszentrale, die daraus unter anderem eine zuverlässige Prognose über die weitere Verkehrsentwicklung erstellt und den Verkehr steuern kann: Die durch die Datenauswertung in der Zentrale gewonnenen Informationen werden wiederum den Verkehrsteilnehmern zur Verfügung gestellt, die ihre Fahrtrouten so anpassen können, dass sie möglichst schnell, sicher und komfortabel ans Ziel kommen. Wissenschaftler am Lehrstuhl für Verkehrstechnik der Technischen Universität München werten die Ergebnisse des Tests aus. Sie haben zudem ein Simulationslabor aufgebaut, in dem sich verschiedene kritische Verkehrssituationen virtuell nachstellen und die Reaktion von Autofahrern mit und ohne C2X-Technologie studieren lassen.

Diverse Sensoren erfassen schon jetzt in vielen Fahrzeugen die Verkehrssituation – allerdings nur auf kurzer Distanz: Der Horizont, bis zu dem diese Sensoren vorausblicken können, ist meist auf wenige Meter begrenzt. Die C2X-Kommunikation erweitert ihn deutlich und lässt den Fahrer künftig auch über weite Entfernungen in verdeckte Bereiche hinein und sogar um mehrere Ecken herum „blicken”. Zwischen zwei Fahrzeugen können Warnsignale bis in etwa 300 Meter Distanz ausgetauscht werden, auf dem Umweg über stationäre Basisstationen sogar über viele Kilometer hinweg. Durch den aktiven Informationsaustausch der Fahrzeuge lässt sich ein zuverlässiges und dynamisches Umgebungsmodell erstellen. Es charakterisiert umfassend die Fahrsituation und ermöglicht neue Anwendungen wie kooperative Fahrerassistenzsysteme oder teilweise autonomes Fahren, weitgehend ohne menschliches Eingreifen.

Scharfer Blick ums Eck

Nützlich können solche Funktionen in vielen Situationen sein – zum Beispiel, wenn ein Autofahrer aus einer Nebenstraße auf eine Kreuzung zufährt. Häufig reiht sich dann auf der kreuzenden Vorfahrtsstraße Wagen an Wagen, und am Straßenrand parkende Fahrzeuge versperren den Blick. Hier hilft der Querverkehrsassistent: Er erfasst die Daten anderer Verkehrsteilnehmer im unübersichtlichen Kreuzungsbereich und teilt sie dem Fahrer mit der schlechten Sicht mit. Das kann unfallträchtige Konstellationen verhindern. Das System wertet die empfangenen Daten wie Geschwindigkeit, Entfernung zur Kreuzung und Bewegungsrichtung zusammen mit den Informationen des eigenen Fahrzeugs aus. Sollte eine Kollision drohen, wird der Fahrer etwa durch eine blinkende Signalleuchte und Hupen gewarnt.

Daneben soll das System das Fahren komfortabler machen, zum Beispiel durch Routenvorschläge zum nächsten freien Parkplatz. Durch die bedarfsgerechte Steuerung von Ampeln kann C2X-Kommunikation außerdem helfen, den Verkehrsfluss zu optimieren, wodurch der Ausstoß an klimaschädlichem Kohlendioxid sinkt. Das „Hirn” des Wagens blendet dem Fahrer etwa die Info ein: „Wenn Sie konstant 45 Kilometer pro Stunde fahren, bleiben Sie auf der grünen Welle und sparen 20 Prozent Sprit”. Oder: „Die Ampel bleibt noch 54 Sekunden rot: Bitte Motor abschalten.”

Schon heute findet ein Informationsaustausch statt zwischen dem Fahrzeug und mobilen Geräten wie MP3-Musikspielern, Smartphones, intelligenten Uhren oder dem Fahrzeugschlüssel. In Zukunft wird auch eine Kommunikation zwischen dem Fahrzeug und dem Zuhause oder dem Büro möglich sein. Und auch zwischen dem Wagen und Tankstellen, Werkstätten sowie anderen Autos, heißt es bei den Protagonisten der C2X-Technologie.

„Mithilfe der unbemerkten Kooperation zwischen den Fahrzeugen werden wir Leben schützen und zudem ökologische und ökonomische Probleme in den Griff bekommen”, ist Daimler-Forscher Weiß überzeugt. ■

HEIKE STÜVEL betreibt ein Redaktionsbüro in Timmendorfer Strand. Sie schreibt vor allem über Autos, Umwelt und Verkehr.

von Heike Stüvel

Mehr zum Thema

Internet

Infos vom Car2Car Communication Consortium: www.car-to-car.org

Das Forschungsprojekt sim-TD: www.simtd.de

Kompakt

• Verkehr der Zukunft: Autos können Signale miteinander austauschen und erhalten Informationen von Funkstationen an der Straße.

• Deutsche Forscher haben die Technologie dafür entwickelt.

• Sie wird im Rhein-Main-Gebiet bereits im realen Verkehr getestet.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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