Hohle Härchen – wärmeisolierend, wasserabweisend und elastisch: Das raffinierte Fell der Eisbären ermöglicht den großen Räubern der Arktis ein Leben unter extremen Bedingungen. Nun haben Wissenschaftler das interessante Naturpatent in eine künstliche Version umgesetzt – in ein Material aus hohlen Kohlenstoffröhrchen. Durch seine spannenden Merkmale könnte es sich zu einem Hochleistungs-Dämmstoff für Anwendungen in der Architektur oder der Luft- und Raumfahrt entwickeln, sagen die Wissenschaftler.
In den Labors und Abteilungen für Forschung und Entwicklung wird überall auf der Welt getüftelt. Doch die Evolution macht das in gewisser Weise schon seit Jahrmillionen: Die Natur hat die Lebewesen der Erde mit erstaunlichen Materialien und Konzepten ausgerüstet, die ihnen Überlebensvorteile für ihre jeweilige Umwelt und Lebensweise bieten. Diese Naturpatente haben dem Menschen schon oft als Inspiration bei der Entwicklung technischer Lösungen gedient. In diesem Zusammenhang sind auch bereits seit einiger Zeit das Fell und die Haare der Eisbären in den Fokus der Wissenschaft gerückt.
Raffiniert hohles Design
“Die Haare der Eisbären wurden evolutionär optimiert, um Wärmeverlust bei Kälte und Feuchtigkeit zu vermeiden. Dies macht sie zu einem hervorragenden Modell für einen synthetischen Wärmeisolator”, sagt Shu-Hong Yu von der Universität von Hongkong. Es ist bekannt, dass das Eisbärenfell seine besonderen Eigenschaften der Mikrostruktur der einzelnen Härchen verdankt. Der Knackpunkt ist dabei: Im Gegensatz zu den Haaren von Menschen oder anderen Säugetieren sind Eisbärenhaare hohl. Unter dem Mikroskop zeigt sich, dass jedes Haar einen langen, zylindrischen Hohlraum im Inneren besitzt. Dadurch entsteht die weiße Farbe des Fells und auch seine physikalischen Eigenschaften basieren auf dieser Mikrostruktur: Die Hohlräume kombiniert mit dem Material der Haarhülle machen die Haare leicht, isolierend, wasserbeständig und flexibel.
Dabei handelt es sich um ein Eigenschaftsprofil, von dem Materialforscher gleichsam träumen. Das Eisbärenfell-Konzept auf synthetische Materialien zu übertragen, hat sich allerdings als eine knifflige Herausforderung erwiesen – die Merkmale der bisherigen Imitationen lassen zu wünschen übrig. Wie Shu-Hong Yu und seine Kollegen berichten, ist ihnen nun allerdings die Entwicklung eines vielversprechenden Materials nach dem Vorbild des Eisbärenfells gelungen.
Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Aerogel. Das sind extrem poröse Festkörper, die sozusagen fast nur aus Luft bestehen und dadurch extrem leicht, wärmedämmend und dennoch stabil sein können. Es gibt bereits verschiedene Arten von Aerogelen, die sich im Material der Gerüststrukturen unterscheiden – einige haben eine Silicat-, Polymer- oder auch Kohlenstoffbasis. Das Eisbärenfell-Aerogel von Yu und seinen Kollegen besteht nun aus Unmengen winziger hohler Kohlenstoffröhrchen, die den Eisbärhaaren nachempfunden sind. Wie bei einem Haufen Spaghetti sind diese Einheiten ineinander verwickelt und formen gemeinsam Aerogel-Gebilde.
Ein haariges Aerogel mit tollen Eigenschaften
Tests des Materials zeigten, dass es den Forschern durch dieses Konzept gelungen ist, einen Stoff mit spektakulären Eigenschaften zu schaffen: Im Vergleich zu anderen Aerogelen und Isolationskomponenten ist das vom Eisbären inspirierte Hohlröhrchen-Design noch leichter und hat bessere Wärmedämmungs-Eigenschaften, berichten die Wissenschaftler. Außerdem ist es wasserabweisend und vor allem strapazierfähig: Auch nach häufigem Eindrücken federt das Material immer wieder in den Ausgangszustand zurück. “Durch unser Konzept der Herstellung eines Aerogels aus Carbon-Röhren konnten wir ein analog zum Vorbild elastisches und leichtes Material entwickeln, das Wärme dämmt und auch widerstandsfähig ist“, resümiert Yu.
Somit könnte sich aus dem Konzept nun ein neuer Hochleitungs-Dämmstoff entwickeln, sagen die Entwickler. Am Horizont sehen sie etwa Anwendungen im Bereich der Luft- und Raumfahrt. Bis dahin müssen allerdings noch die Herstellungsprozesse optimiert werden, räumen sie ein: „Bisher ist noch keine Massenproduktion unseres Carbon-Röhrchen-Materials möglich – aber wir sind zuversichtlich, auch diese Hürde überwinden zu können”, sagt Yu.
Quelle: Cell Press, Chem, doi: 10.1016/j.chempr.2019.04.025