Es verwundert, wie schnell sich die Dinge manchmal weiterdrehen. Sogar beim Müll. Getränkeflaschen, Kleidung und Kaffeesatz werden jetzt nicht mehr recycelt. Sie werden upcycelt. Aus dem Müll entstehen nicht mehr nur minderwertige Parkbänke, Straßenbeläge und Blumenerden. Aus Abfall macht das Luxuslabel „Louis Vuitton“ Haut Couture und IBM einen Upcycling-Computer. Aus Autoschrott wird, schnieke lackiert, ein Beistelltisch fürs Wohnzimmer. Aber lässt sich Müll tatsächlich zu etwas deutlich Besserem aufwerten?
Upcycling war jahrelang nur Bastlern ein Begriff, die im Hausrat und im Keller aus Brauchbarem etwas Neues zusammenschraubten. Dann hat es die Modeindustrie für sich entdeckt. H&M etwa nimmt seit 2013 Altkleider zurück und näht aus einem sehr kleinen Teil eine neue Kollektion. Upcycling ist dabei mehr Verkaufsargument als wirkliche Philosophie. Andere nehmen die Sache ernster und machen aus Altem mit raffiniertem Design ästhetische Produkte: atemberaubende Kleider aus Seidensaris, haltbare Taschen aus Lkw-Planen, Hingucker-Brillen aus Büchern und Jeans.
Das Wort „Upcycling“ hat der Ökovordenker Michael Braungart, Leiter des privaten Forschungsinstituts EPEA in Hamburg, geprägt. „Man kann die Intelligenz des Materials, sprich: die darin enthaltenen Stoffe und ihre Eigenschaften nutzen, um etwas noch Intelligenteres daraus zu machen.“ So beschreibt er den Ursprungsgedanken. Das A und O dafür ist, dass man weiß, welche Stoffe im Pullover, in der Zeitung oder im Computer stecken. Nur wer den Materialcocktail kennt, kann aus einem Werkstoff einen reineren, besseren Werkstoff machen. Dann funktioniert Upcycling. Das gelingt heute schon bei Glas, bei einzelnen Kunststoffen, vor allem bei Metallen, die beim Recyceln reiner werden, als wenn sie erst neu im Bergbau gewonnen werden.
Pilze auf Kompost aus Flaschenetiketten
Mit dem Wissen der Bauteile und Zutaten kann beispielsweise aus einem alten Bürostuhl auch wieder ein moderner, besserer Bürostuhl entstehen. Der Schweizer Hersteller Giroflex zum Beispiel nimmt gebrauchte Stühle zurück, zerlegt sie in Einzelteile und verarbeitet sie zu neuem Stahl und schmilzt die Plastikteile zu neuen Kunststoffen ein. Der Kunde bekommt, wenn gewünscht, ein neues Exemplar.
Ein weiteres Beispiel: Die Etiketten auf den Falschen der Brauerei Lammsbräu bilden das Substrat für Kompost, auf dem dann Shitakepilze zum Verzehr wachsen. Alle Druckfarben sind so ausgewählt, dass sie zu unschädlichen Bestandteilen zerfallen oder von Mikroben zersetzt werden. Und aus PET-Getränkeflaschen entsteht in China ein reinerer Kunststoff, der weniger des bedenklichen Antimons enthält. „Auch das ist Upcycling“, findet Braungart.
Das Material darf nicht verloren gehen
Aufwertung in China? Wenn alleine der Transport dorthin viel Energie kostet? Das ist aber nicht das entscheidende Problem, sondern: Das Material darf nicht verloren gehen. Landen die Plastikflaschen in der Landschaft, steht das Material nicht mehr zur Verfügung. Und die Umwelt wird belastet. In einem nächsten Schritt ist dann entscheidend: Das Recycling an sich muss zu einem hochwertigeren Material führen und schließlich zu einem hochwertigeren Produkt. Dann kann man von Upcycling sprechen. Das Wo und Wie bedarf freilich Feinarbeit: Der Strom sollte aus erneuerbaren Energiequellen kommen, das Abwasser muss gereinigt werden.
Upcycling bedeutet also, dass man ein Produkt beim Recycling nicht nur weniger schädlich macht, sondern ein Produkt erzeugt, das im Wertschöpfungsprozess an Güte gewinnt. Das ist positiv – eine Idee, die zuversichtlich macht. Und es ist tatsächlich möglich. Es gibt immer mehr Beispiele. Bald soll es sogar Waschmaschinen geben, die nach 9000 Waschgängen wieder an den Hersteller gehen, der daraus eine Upcycling-Maschine macht, sparsamer und mit neuem Motor. Die Rohstoffe bleiben in Unternehmenshand. Braungart freut sich darauf: „Ich habe nie 20 Kilogramm Metall im Bad gewollt, aber ein Gerät, das sauber und sparsam wäscht.“