Das überraschende Resultat: Die Signale liefen durch den Tunnel schneller als durch die Luft. Enders und Nimtz kamen auf die doppelte Lichtgeschwindigkeit, bei längerem Tunnel sogar auf ein noch höheres Tempo. Sie fanden außerdem heraus, daß das Signal vor der Barriere kurz innehält – wie ein Springpferd, das vor dem Hindernis scheut – und dann in Nullkommanichts am anderen Ende auftaucht.
Für das sensationelle Ergebnis interessierte sich zunächst niemand. Erst ein halbes Jahr später kam aus den USA eine Meldung, die sich wie ein Lauffeuer unter den Physikern verbreitete: Raymond Chiao, Professor für Quantenoptik an der Universität von Berkeley, und sein Assistent hatten es geschafft, einzelne Photonen mit Überlichtgeschwindigkeit zu tunneln.
In einem abgewandelten Experiment schickte Günter Nimtz dann Mozarts berühmte Symphonie Nummer 40 in g-Moll auf einem Mikrowellensignal huckepack durch den Tunnel, um zu beweisen, was bisher alle Kollegen – auch Raymond Chiao – stets bestritten hatten: daß sich auch Informationen schneller als Licht ausbreiten können. Das Experiment gelang, die Meßgeräte zeigten 4,7fache Lichtgeschwindigkeit an, und der eher scheue Professor war über Nacht bei Physikern bekannt wie ein bunter Hund.
Auch wenn das Experiment zur Überlichtgeschwindigkeit von Professor Chiao und Professor Aephraim Steinberg von der Universität Torontozweifellos korrekt ist – einen Haken gibt es doch: Chiao und Steinberg behaupten, einzelne Photonen gemessen zu haben. Doch das stimmt nicht ganz: Um die Laufzeit der beiden Teilphotonen zu bestimmen, mußten die beiden Physiker viele Millionen Photonen sammeln und statistisch auswerten. Im Prinzip ist das analog zum Doppelspaltversuch, den manche noch aus dem Optikunterricht in der Schule kennen: Das bunte Beugungsmuster auf dem Schirm entsteht nur, wenn viele Lichtteilchen durch den Spalt fliegen. Wenn man einzelne Photonen mit Detektoren mißt, ändert das nichts am Ergebnis – man muß nur länger warten, bis das Muster erscheint.
“Das Chiao-Experiment ist rein klassisch”, bemängelt deshalb Nimtz. Letztlich hätten seine US-Kollegen mit ihren vielen einzelnen Photonen nichts anderes gemacht als er mit seinen Mikrowellen, die im Prinzip nur dichte Pulks von Photonen einer größeren Wellenlänge seien.
Wer hat nun recht? Möglicherweise keiner von beiden. Denn nach Ansicht vieler Physiker geben die beiden Streithähne mit ihren Experimenten Antworten auf eine beinahe philosophische Frage, die sich gar nicht stellt. Wegen der Heisenbergschen Unschärferelation könne man nicht entscheiden, wo sich das Photon im Tunnel genau befinde. Und damit habe es keinen Sinn, überhaupt eine Geschwindigkeit zu messen. “Über die Sache wird bald Gras wachsen”, war der allgemeine Tenor auf der letztjährigen Physikertagung.
Einer ist auf jeden Fall aus dem Schneider: Albert Einstein. Seine Aussagen zur maximalen Geschwindigkeit von Informationen sind nur in Inertialsystemen gültig. Über die Signalausbreitung im Tunnel hat sich Einstein nicht geäußert – die “spukhaften Fernwirkungen” der Quantenmechaniker waren ihm zeitlebens suspekt.