Glas ist ein geniales Material – im Vergleich zu Kunststoff ist seine Verarbeitung allerdings aufwändig. Doch durch ein innovatives Konzept könnten sich nun geformte Glasobjekte so unproblematisch produzieren lassen wie Plastikteile: Deutschen Forschern ist es gelungen, das Spritzgussverfahren auf die Herstellung von Glas zu übertragen. Durch den Einsatz eines speziellen Komposit-Granulats als Ausgangsmaterial können sie Objekte aus reinem Glas und in nahezu beliebigen Formen produzieren. Das Verfahren ist dabei einfach, schnell und umweltfreundlich, sagen die Entwickler.
Durch seine praktischen Eigenschaften gehört Glas bekanntlich zu den wichtigsten Nutzmaterialien des Menschen: Neben Alltagsobjekten wie Flaschen und Fenstern bestehen auch viele Hightech-Produkte im Bereich der Optik, Telekommunikation, Chemie und Medizin aus diesem Stoff. Eigentlich wäre das Einsatzpotenzial sogar noch größer – doch in vielen Fällen werden Kunststoffe als Alternative genutzt. Denn Glas Form zu geben, ist vergleichsweise schwierig. Es muss dazu teilweise auf bis zu 2000 Grad Celsius erhitzt werden und dann durch Ziehen oder Blasen aufwendig in Form gebracht werden.
Im Gegensatz zu diesem energieintensiven und zeitaufwändigen Prozess können Kunststoffe vergleichsweise einfach über das sogenannte Spritzgussverfahren in Form gebracht werden. Dabei wird in einer Spritzgießmaschine der jeweilige Kunststoff zunächst bei niedrigen Temperaturen verflüssigt und in eine Form eingespritzt. Dort geht der Werkstoff dann durch Abkühlung wieder in den festen Zustand über und anschließend kann das Fertigteil entnommen werden. So lassen sich Kunststoffobjekte im Hochdurchsatz in nahezu beliebigen Formen und Größen industriell herstellen.
Kunststoff-Technologie auf Glas übertragen
Gläser konnten bislang nicht durch dieses Verfahren geformt werden, was ihre Anwendung einschränkte. „Seit Jahrzehnten sind Gläser oft zweite Wahl bei der Materialfrage in Herstellungsprozessen, da ihre Formgebung zu kompliziert, energieintensiv und ungeeignet ist, hochaufgelöste Strukturen herzustellen“, erklärt Bastian Rapp von der Universität Freiburg. „Kunststoffe hingegen erlauben all dies – allerdings sind ihre physikalischen, optischen, chemischen und thermischen Eigenschaften Gläsern unterlegen. Doch uns ist es nun gelungen, die Kunststoff- und die Glasverarbeitung miteinander zu verbinden“, sagt Rapp.
Möglich wurde dies durch den Einsatz eines von den Forschern entwickelten Ausgangsmaterials in Form eines Granulats. Es handelt sich dabei um ein Gemisch aus etwa 60 Prozent Glasnanopartikeln mit speziellen Kunststoffen. Dieses sogenannte Glassomer-Komposit-Material kann wie die üblichen Kunststoffe bei der Verwendung in Spritzgussmaschinen zum Einsatz kommen, berichten die Wissenschaftler. Dabei wird das Granulat bei nur 130 Grad Celsius verflüssigt und in Form gespritzt. So entstehen zunächst Rohlinge, die dann durch Erhitzung in reine Glasobjekte verwandelt werden können.
Aus Rohlingen wird Gläsernes gebacken
„Unsere Gläser sind zunächst Kunststoffobjekte – wir erledigen die gesamte Formgebung zunächst auf diese Weise, weil dafür nur niedrige Temperaturen nötig sind und normale Spritzgussmaschinen zum Einsatz kommen können“, erklärt Rapp. Anschließend werden die Rohlinge dann gebadet, erwärmt und schließlich bei 1300 Grad Celsius gebacken. Durch den Prozess werden alle Kunststoffkomponenten aus dem Material beseitigt und ein transparentes Glasobjekt in der gewünschten Form bleibt übrig.
Das gesamte Verfahren benötigt dabei aber weniger Energie als herkömmliche Konzepte der Glasherstellung, wodurch erhebliche Energiemengen eingespart werden können, sagen die Forscher. Die Qualität der Glasgebilde ist ihnen zufolge ebenfalls hoch: Sie weisen eine hohe Oberflächengüte auf, sodass Nachbehandlungsschritte, wie zum Beispiel ein Polieren, nicht erforderlich sind. Für die mit der Glassomer-Glasspritzgusstechnologie hergestellten Objekte eröffnen sich damit viele Anwendungsmöglichkeiten, sagen die Entwickler. Vor allem in der Datentechnologie, Optik und Solartechnik sowie in der Medizintechnik sehen sie großes Potenzial.
„Insbesondere die Herstellung kleiner Hightech-Glaskomponenten mit komplizierten Geometrien bietet sich unter Einsatz des Verfahrens an. Neben der Transparenz ist Quarzglas auch wegen des geringen Ausdehnungskoeffizienten interessant: Sensoren und Optiken arbeiten bei jeder Temperatur zuverlässig, wenn die Schlüsselkomponenten aus Glas bestehen“ sagt Co-Autor Frederik Kotz. „Wir haben auch bereits gezeigt, dass mikrooptische Glasbeschichtungen den Wirkungsgrad von Solarzellen steigern können. Mit der neuen Technologie können jetzt kostengünstige Hightech-Beschichtungen mit hoher thermischer Stabilität hergestellt werden. In der Industrie gibt es dafür eine Vielzahl von Möglichkeiten“, betont der Wissenschaftler abschließend, um das Potenzial des neuen Verfahrens zu verdeutlichen.
Quelle: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, Fachartikel: Science, doi: 10.1126/science.abf1537