Es ist das Supermaterial der achtbeinigen Räuberinnen: Spinnenseide ist extrem widerstandsfähig, dabei aber auch leicht und flexibel. Nun berichten Forscher von weiteren Merkmalen, die den faszinierenden Naturstoff interessant für die Technik machen: Ab einer bestimmten Luftfeuchtigkeit ziehen sich die Fäden nicht nur stark zusammen, sie verdrehen sich außerdem kraftvoll, zeigen ihre Experimente. Damit könnte sich Spinnenseide oder von ihr inspiriertes Material beispielsweise für den Einsatz als „Muskeln“ für Roboter eignen, sagen die Wissenschaftler.
Jahrmillionen der Evolution haben Spinnenseide zu einem Material perfektioniert, das menschliche Werkstoffe in der Kombination der Merkmale deutlich übertrifft. Das gilt vor allem für die stärkste Version der insgesamt sieben Fadensorten, die Radnetzspinnen aus speziellen Drüsen hervorbringen: Die sogenannten Sicherungsfäden bilden das Netzgrundgerüst, das in seinen Zwischenräumen die feinen Klebefäden trägt. Schon lange untersuchen Forscher die vielschichtigen Leistungen dieser leistungsstarken Trageseile und ergründen die zugrundeliegenden Materialeigenschaften.
Ein erstaunlich vielseitiges Naturpatent
Dabei standen bisher die vordergründigen Merkmale im Fokus: Festigkeit, Leichtigkeit, Flexibilität und Zähigkeit. Doch vor kurzem haben Forscher einen weiteren, buchstäblich spannenden Aspekt von Spinnenseide entdeckt: Ab einer bestimmten Luftfeuchtigkeit ziehen sich die Fäden plötzlich kraftvoll zusammen. Nun hat ein internationales Forscherteam zudem herausgefunden, dass die Fäden neben dieser sogenannten Superkontraktion zusätzlich auch eine starke Torsionskraft entwickeln.
“Wir haben das per Zufall herausgefunden”, berichtet Co-Autor Dabiao Liu von der Huazhong University of Science and Technology in Wuhan. “Meine Kollegen und ich wollten den Einfluss der Luftfeuchtigkeit auf die Spinnenseide untersuchen. Dazu hängten wir ein Gewicht an einen Faden, um eine Art Pendel zu bilden. Als wir dann die Luftfeuchtigkeit erhöhten, begann sich das Pendel zu unserem Erstaunen plötzlich heftig zu drehen. Wir haben große Augen gemacht“, so der Wissenschaftler. Die Drehung erfolgte nur in einer Richtung und setzte bei einer Schwelle von etwa 70 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit ein, berichten die Forscher. Bei anderen Materialien, wie etwa bei menschlichen Haaren, kommt es hingegen nicht zu einem solchen Dreheffekt, konnten sie durch Experimente zeigen.
Anschließend machten sie sich durch Laboruntersuchungen und molekulare Modellierungen am Computer auf die Suche nach den Grundlagen des Effekts. “Spinnenfäden sind Proteinfasern”, sagt Liu. “Sie bestehen aus zwei Hauptproteinen – MaSp1 und MaSp2.” Wie er erklärt, stellte sich heraus, dass die Verdrillungsreaktion auf der speziellen Faltung des Proteinbausteins Prolin von MaSp2 beruht: Wassermoleküle unterbrechen die Wasserstoffbrückenbindungen des Prolins auf asymmetrische Weise und verursachen dadurch die Rotation, ergaben die Untersuchungen.
Potenzial für technische Anwendungen
“Das Protein erzeugt interessanterweise eine Drehung in einer bestimmten Richtung und durch Kontrolle der Luftfeuchtigkeit lässt sich die Bewegung sehr präzise steuern. Diese Effekte könnten etwa für die Robotik-Community sehr interessant sein”, sagt Co-Autor Markus Buehler vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge. “Vielleicht können wir ein neues Polymermaterial herstellen, das diese Fähigkeiten replizieren kann”, so der Forscher. Seine Kollegin Anna Tarakanova führt weiter aus: “Diese erstaunliche Fähigkeit zur Superkontraktion in Kombination mit Torsion als Reaktion auf Feuchtigkeit kann für viele Anwendungen interessant sein: Von feuchtigkeitsgesteuerten, weichen Robotern über Sensoren bis hin zu intelligenten Textilien”, meint die Wissenschaftlerin.
Wie sie und ihre Kollegen betonen, bleibt bislang allerdings unklar, was der feuchtigkeitsabhängige Torsionseffekt den Spinnen nützt. Was ihre Abseilfäden betrifft, ist interessanterweise bekannt, dass sie einer Verdrehung sogar besonders gut widerstehen können, damit die Spinne stabil am Faden hängt und sich nicht dreht. Dass sich die Fäden, die das Gerüst des Netzes bilden, bei hoher Luftfeuchtigkeit zusammenziehen erscheint den Forschern zufolge plausibel: Dadurch könnte das Netz bei der Belastung durch Tau gestrafft werden. Welche biologische Bedeutung allerdings der zusätzliche Dreheffekt hat, ist nun eine offene Frage, sagen die Wissenschaftler.
Quelle: Massachusetts Institute of Technology, Science Advances, doi: http://advances.sciencemag.org/content/5/3/eaau9183