0,0028 – eine kleine Zahl, die in der Fachwelt für eine große Sensation sorgte. Auch wenn es der Rest der Welt nicht mitbekam: e’/e=0,0028 gibt uns Menschen die Sicherheit, daß wir existieren. Wäre der Wert gleich Null – wie die Theoretiker früher vermuteten -, gäbe es unser Universum gar nicht.
Des Rätsels Lösung liegt in der Kinderstube unseres Kosmos: Damals gab es neben der Materie, wie wir sie kennen, noch genausoviel Antimaterie. Jedes Elementarteilchen hat einen Zwillingsbruder mit entgegengesetzter Ladung: Das negativ geladene Elektron ist mit dem Positron verschwistert, das positiv geladene Proton mit dem negativen Antiproton – das gilt für alle Mitglieder des Teilchenzoos. Wenn sich Teilchen und Antiteilchen berühren, zerstrahlen sie augenblicklich zu reiner Energie. Würde ein Mensch aus Materie einem aus Antimaterie die Hand reichen, gäbe es eine Explosion, die 50000mal so stark wäre wie die Atombombe von Hiroshima.
Bei den vielen Teilchenzusammenstößen in unserem Universum bliebe es nicht unbemerkt, wenn große Teile davon aus Antimaterie bestünden. Deshalb gilt als sicher, daß es im Universum keine Antimaterie gibt – außer natürlich in den Teilchenbeschleunigern der Physiker, wo sie in rauhen Mengen hergestellt wird. Eine winzige Asymmetrie – die sich in dem Wert e’/e ausdrückt – muß also gleich nach dem Urknall dafür gesorgt haben, daß am Ende des Vernichtungskampfes von Materie und Antimaterie ein kümmerlicher Rest Materie übrigblieb, der heute unser Universum ist. Dieser Rest ist ungefähr ein Zehnmilliardstel der ursprünglichen Materie.
Symmetrieverletzungen waren in den letzten Jahrzehnten ein wichtiges Thema der Teilchenphysik. Es begann Mitte der fünfziger Jahre, als die Verletzung der einfachsten Symmetrieart, der Parität (P) entdeckt wurde. Bis dahin dachte man, daß alle physikalischen Gesetze – von der Mechanik des Makrokosmos bis zur Quantenmechanik des Mikrokosmos – gleich bleiben, wenn man sie im Raum spiegelt. So sollte es zum Beispiel beim Zerfall von Atomkernen egal sein, wenn der Spin – vereinfacht gesagt: die Drehrichtung – der Elementarteilchen im Atomkern umgekehrt wird. Daß dies jedoch nicht immer gilt, bewies der Experimentalphysiker Chien Shiung Wu von der Universität Columbia 1957 beim Zerfall von Kobalt 60.
Es dauerte nicht lange bis die Forscher entdeckten, daß die Paritätsverletzung erst die Spitze des Eisberges war. Auch die Ladungssymmetrie (C) kann nämlich verletzt werden – Materie und Antimaterie sind also doch nicht so symmetrisch. Die gute Nachricht: Die C-Verletzung wird ausgeglichen, wenn man C und P kombiniert. Während C und P für sich keine universell gültigen Symmetrien darstellen, schien die Kombination CP von der Natur respektiert zu werden. “Das war für die Physiker eigentlich nur ein schwacher Trost”, meint Gerry Bauer vom Massachusetts Institute of Technology. Doch auch diese Freude währte nicht lange. Die beiden amerikanischen Physiker James Cronin und Val Fitch wiesen 1964 in einem aufsehenerregenden Experiment nach, daß neutrale K-Mesonen, auch Kaonen genannt, hin und wieder in zwei Pionen zerfallen. Dieser Zerfall deutet indirekt auf eine Verletzung der perfekten CP-Symmetrie hin.
Die CP-Verletzung war für alle ein großes Rätsel, bis der sowjetische Physiker Andrej Sacharow einige Jahre später zeigte, daß sie sogar eine notwendige Bedingung war, damit sich unser Universum Millisekunden nach dem Urknall gegen die Zerstrahlung mit Antimaterie zur Wehr setzen konnte. Auch das bewährte Standardmodell der Teilchenphysik, das alle Elementarteilchen mit einer einheitlichen Theorie beschreibt, sagt die CP-Verletzung voraus.
Trotzdem galt die CP-Verletzung nicht als hundertprozentig bewiesen. Eine Theorie von Lincoln Wolffenstein von der Carnegie- Mellon-Universität postulierte eine mysteriöse fünfte Kraft, die sogenannte superschwache Kraft, die den Kaonen-Zerfall ebenfalls erklären konnte und damit die Welt auch ohne CP-Verletzung wieder in Ordnung brachte. Um zu entscheiden, ob Teilchen und gespiegelte Antiteilchen nun symmetrisch sind oder nicht, mußten sich die Physiker also neue Experimente ausdenken, die nicht nur eine indirekte, sondern eine direkte CP-Verletzung nachweisen konnten. Eines dieser Experimente ist KTeV (Kaonen am Tevatron-Beschleuniger) am Fermilab in Chicago, dessen Ergebnisse Peter Shawhan im Frühjahr präsentierte. Das Team hatte eine zweite Unregelmäßigkeit gefunden, die unter zehn Millionen Ereignissen nur einmal auftritt und die CP-Verletzung direkt nachweist. Einige der Fermilab-Forscher waren nach eigener Aussage geschockt über den relativ hohen Wert für e’/e – statt mit 0,0028 hatten sie mit einem Wert zwischen 0,0004 und 0,0017 gerech- net. Wichtiger als die Größe des Meßergebnisses ist, daß sich diese Abweichung nicht mehr mit Lincoln Wolffensteins superschwacher fünfter Kraft erklären läßt.