Keine Übernachtung im Schlaflabor nötig: Forscher haben eine schluckbare Kapsel entwickelt, die Atemaussetzer und die Herzfrequenz eines Menschen vom Verdauungstrakt aus erfassen kann. Wie erfolgreiche Tests des Systems an zehn Freiwilligen belegen, könnte dieses Verfahren die Diagnose und Behandlung von Patienten mit Schlafapnoe erleichtern. Zudem könnte es zur Überwachung von Medikamenten-Überdosierungen eingesetzt werden, die die Atmung beeinträchtigen.
Trotz langer Schlafdauer erschöpft und unausgeschlafen: Diesen Symptomen kann eine sogenannte obstruktive Schlafapnoe zugrundeliegen. Die Betroffenen leiden dabei unwissentlich unter nächtlichen Atemaussetzern, die ihre Schlafqualität erheblich beeinträchtigen. Es handelt sich um ein relativ häufiges Problem, das das Wohlbefinden stark stören und das Risiko für weitere Erkrankungen erhöhen kann. Die Diagnose von Schlafapnoe ist bisher allerdings relativ umständlich: Der Schlaf und die Atmung werden durch auf der Haut platzierte Sensoren erfasst, die mit Überwachungsgeräten verbunden sind. Für eine genaue Untersuchung müssen sich Betroffenen dazu in ein Schlaflabor begeben. Nach einer Diagnose ist dies dann oft auch für die Untersuchung von Behandlungserfolgen nötig.
Die Forscher um Giovanni Traverso vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge haben deshalb nun ein Konzept entwickelt, das die Diagnose und Überwachung von nächtlicher Atmung sowie Herztätigkeit bequemer gestalten könnte. Es basiert auf einer Technologie, die derzeit auch für andere medizinische Anwendungen entwickelt wird. Dabei handelt es sich um schluckbare Kapseln, die mit verschiedenen elektronischen Funktionseinheiten ausgerüstet werden können. Nach ihrem Einsatz für Untersuchungen oder Behandlungen im Magen-Darm-Trakt werden sie wieder ausgeschieden.
Beschleunigungsmesser erfassen Vitalfunktionen
Dieses Konzept haben die Forscher nun für ihr Anwendungsziel angepasst: Sie haben eine Kapsel entwickelt, die etwa so groß ist wie eine Multivitamin-Tablette und vom Verdauungstrakt aus die Vitalfunktionen eines Anwenders überwachen kann. Das Gerät verfügt dazu über eine Batterie zur Versorgung von zwei technischen Einheiten: Es ist mit einem hochsensiblen Beschleunigungsmesser ausgestattet, der die feinen Bewegungen erfassen kann, die durch die Atmung sowie den Herzschlag auf den Magen-Darm-Trakt übertragen werden. In der Kapsel ist zudem ein kleiner Sender untergebracht, der die Daten an externe Geräte wie ein Smartphone oder einen Laptop überträgt. So können sie dann in eine Darstellung des Verlaufs der Atmung und Herzfunktion übertragen werden.
Zunächst testeten die Wissenschaftler ihre Sensor-Kapsel an Schweinen. Dabei zeigte sich, dass das kleine Gerät die Atem- und Herzfrequenz der Tiere genau messen konnte und nach seinem Einsatz problemlos ausgeschieden wurde. In einem Experiment konnten sie zudem zeigen, dass die Sensor-Kapsel die Verringerung der Atemfrequenz erkannte, die durch das Medikament Fentanyl bei den Tieren ausgelöst wurde. Es handelt sich dabei um einen Opioid-Wirkstoff, der unter anderem in der Notfallmedizin zur Behandlung starker Schmerzen verwendet wird. Dabei besteht jedoch ein Risiko einer Überdosierung, die zu gefährlichen Beeinträchtigungen der Atmung führen kann.
Vielversprechende Testergebnisse
Nach den erfolgreichen Tierversuchen konnten die Forscher zu einem klinischen Test übergehen: Zehn Personen erklärten sich bereit, die Kapsel einzunehmen und sich untersuchen zu lassen. Um die Ergebnisse vergleichen zu können, wurden sie zusätzlich mit dem Standardsystem zur Erfassung von Vitalfunktionen in einem Schlaflabor überwacht. Wie die Forscher berichten, bestätigten die Ergebnisse die Resultate der Tierversuche: Der einnehmbare Sensor erfasste präzise die Atem- sowie Herzfrequenz der Probanden. Der Einsatz lief beschwerdefrei ab und die Geräte wurden auch problemlos wieder ausgeschieden. Ein besonderer Erfolg war dabei: Anhand der Daten hat das Team bei einem der Studienteilnehmer tatsächlich eine Schlafapnoe-Episode feststellt. „Wir konnten zeigen, dass wir mit der Kapsel Daten erfassen, die mit denen der herkömmlichen Haut-Sensoren übereinstimmen. Zudem konnten wir bestätigen, dass die Kapsel Apnoe erkennen kann – und das wurde durch die Standardüberwachungssysteme bestätigt, die im Schlaflabor verfügbar sind“, resümiert Traverso.
Ihm zufolge zeichnet sich damit nun erhebliches Potenzial für das Konzept ab: „Es könnte helfen, einfacher Diagnosen zu erstellen und dann im Fall einer obstruktiven Schlafapnoe eine entsprechende Behandlung einzuleiten“, sagt Traverso. Anschließend könnte es dann auch verwendet werden, um die Wirksamkeit der Therapie bequem zu überwachen. Daneben gibt es auch weitere wichtige Anwendungsmöglichkeiten, wie die Überwachung von Opioid-Überdosierungen, betont das Team. „Das Gerät bietet das Potenzial, Veränderungen bei der Atmung frühzeitig zu erkennen, unabhängig davon, ob diese auf Opiate oder Erkrankungen zurückzuführen sind“, so Traverso.
Er und seine Kollegen wollen sich nun der weiteren Entwicklung des Systems widmen. Möglicherweise lässt sich demnach eine Funktion integrieren, durch die automatisch ein Mittel zur Umkehrung einer Opioid-Überdosis freigesetzt werden kann, wenn sich die Atemfrequenz eines Patienten verlangsamt oder stoppt.
Quelle: Massachusetts Institute of Technology, Cell Press. Fachartikel: Device, doi: 10.1016/j.device.2023.100125