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Selbstheilendes Material entwickelt

Technik|Digitales

Selbstheilendes Material entwickelt
Nachdem es zerschnitten oder durchstochen wurde, kann sich das bioinspirierte Material sofort selbst reparieren. (Bild: MPI für Intelligente Systeme)

Elastisch, biologisch abbaubar und auf erstaunliche Weise strapazierfähig: Forscher haben ein Material aus Proteinstrukturen entwickelt, das sich nach Beschädigungen sofort selbst heilen kann. Das von Tintenfischen inspirierte Material könnte vor allem die Entwicklung von weichen Elementen in der Robotik voranbringen, sagen die Wissenschaftler.

Ohne unsere Selbstheilungskräfte wären wir schnell „kaputt“, denn ständig entstehen durch die verschiedenen Belastungen Schäden in der Haut, den Muskeln oder in anderen Geweben unseres Körpers. Diese biologische Fähigkeit zur Selbstreparatur versuchen Wissenschaftler bereits seit einiger Zeit auf künstliche Substanzen zu übertragen. Besonders die Robotik könnte von weichen Materialien mit Selbstheilungskräften profitieren. Denn wenn die „Technowesen“ eines Tages Menschen in komplexen Umgebungen unterstützen sollen, müssen sie flexible Elemente besitzen und möglichst wenig reparaturanfällig sein. Einige Kreationen der sogenannten Softrobotik sind sogar komplett aus weichen Materialien aufgebaut. Aber auch Industrieroboter, Beinprothesen, Beatmungsgeräte und Schutzausrüstungen benötigen elastische Elemente, die Bewegungsenergie aufnehmen können.

Doch diese weichen Teile sind empfindlich oder entwickeln bei ständiger, sich wiederholender Bewegung winzige Risse und Sprünge und brechen schließlich. Mit einem selbstheilenden Material könnten die anfänglich kleinen Defekte kontinuierlich repariert werden, bevor es zu einem Versagen kommt. Es wurden zwar bereits Substanzen entwickelt, die Beschädigungen selbst reparieren können, doch sie lassen zu wünschen übrig: Die Moleküle bisheriger verformbarer selbstheilender Materialien brauchen mehrere Stunden oder sogar Tage, um sich wieder miteinander zu verbinden. Oft resultiert dies zudem in einer geringeren Festigkeit an der Stelle, an der das Material durchbrochen wurde.

Vorbild Tintenfisch

„Unser Ziel war es deshalb nun, mithilfe der synthetischen Biologie ein selbstheilendes Material zu kreieren, dessen physikalische Eigenschaften wir kontrollieren können”, sagt Melik Demirel von der Pennsylvania State University in University Park. Er und seine Kollegen nutzten dabei ein Vorbild aus der Natur: Sie untersuchten zunächst die Merkmale und Bildungsgrundlagen eines selbstheilenden Gewebes bei Tintenfischen. Es bildet die ringförmigen Zähnchenstrukturen in den Saugnäpfen, mit denen die Meeresräuber Beutetiere festhalten. Wenn diese stabilen Proteinstrukturen beschädigt werden, können sie sich selbst heilen, indem sie sich erneut miteinander verbinden.

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Den Forschern ist es schließlich gelungen, durch Verfahren der synthetischen Biologie dieses Material nicht nur nachzubilden, sondern es auch für technische Anwendungen und die Herstellung zu optimieren. Es ließ sich dadurch in herkömmlichen bakteriellen Bioreaktoren produzieren. Wie sie erklären, verbinden sich die biologischen Polymerstrukturen anschließend zu einem flexiblen, gummiartigen Material mit Eigenschaften, die bisherige selbstheilende Materialien deutlich übertreffen, und nicht nur das: „Wir veränderten die molekulare Struktur so, dass wir die Selbstheilungskräfte des Materials sogar auf die Spitze treiben konnten“, sagt Demirel. „Wir haben die natürlicherweise 24-Stunden dauernde Heilungsphase auf eine Sekunde verkürzt. Unsere Technologie stellt damit die Natur in den Schatten“, so der Wissenschaftler.

Rasante Selbstheilung

Wie Demirel und seine Kollegen erklären, braucht die Struktur beim Tintenfisch länger um zu heilen, da die natürlichen Protein-Moleküle nur lückenhaft miteinander verwoben sind. Bei dem im Labor entwickelten Material veränderten die Wissenschaftler die Nanostruktur der Moleküle hingegen so, dass sie alle miteinander verbunden sind. „Ein Netzwerk, in dem nur wenige Punkte miteinander verbunden sind, birgt Schwachstellen. Wir aber haben alle Punkte miteinander vernetzt und das Material so verbessert“, erklärt der Erstautor der Studie Abdon Pena-Francesch vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart. Jede physikalische Verbindung in dem Material ist durch das Konzept reversibel, sagen die Wissenschaftler: Verbindungen, die an einer Stelle getrennt wurden, klicken wieder automatisch in die richtige Position zurück. „Wir haben das Material auf verschiedenste Weise beschädigt und jedes Mal hat es sich innerhalb von Sekunden repariert“, sagt Pena-Francesch.

Ein weiterer positiver Aspekt des neuen Materials ist, dass es im Gegensatz zu herkömmlichen Kunststoffen zu 100 Prozent biologisch abbaubar beziehungsweise wiederverwendbar ist. “Wir sollten den Einsatz von Polymeren auf Erdölbasis aus vielen Gründen minimieren”, sagt Demirel. So wie die Strukturen eines Tintenfischs im Ozean zerfallen, wird auch das biomimetische Polymer biologisch abgebaut, betont der Forscher. Durch die Zugabe einer Säure wie Essig kann es zudem in einen Grundstoff zurückverwandelt werden, der für eine erneute Synthese genutzt werden kann.

Von dem großen Potenzial des neuen Materials ist auch Co-Autor Metin Sitti vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme überzeugt: Es eröffnet sich ihm zufolge nun ein großes, unerforschtes Gebiet möglicher Anwendungen in der Robotik. „Selbstreparierende physikalisch intelligente weiche Materialien sind für den Bau robuster und fehlertoleranter Soft-Roboter in naher Zukunft unerlässlich”, sagt Sitti.

Quelle: Pennsylvania State University, Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, Fachartikel: Nature Materials, doi: 10.1038/s41563-020-0736-2

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