In raffinierter Weise orientieren sie sich an den Nachbarn: Forscher haben Unterwasserroboter entwickelt, die das komplexe Schwarmverhalten von Fischen nachahmen können. Die „Bluebots“ synchronisieren Bewegungen automatisch, ohne von außen gesteuert werden zu müssen. Das Konzept könnte zur Entwicklung von Einheiten aus Unterwasserrobotern führen, die in sanfter und flexibler Weise empfindliche Ökosysteme erkunden. Als Modellsystem könnten die Fischroboter zudem der Erforschung der Schwarmintelligenz bei Tieren dienen, sagen die Forscher.
Von kleinen Gruppen bis hin zu gigantischen Schwärmen und Herden: Bei vielen Tierarten schließen sich die Individuen zu Verbänden zusammen und entwickeln dabei ein erstaunliches Kollektivverhalten: Die Gruppen zeigen komplexe, synchronisierte Reaktionen, die ihnen helfen, Nahrung zu finden, sich gemeinsam fortzubewegen oder Fressfeinden zu entgehen. Die Schwärme von Fischen, die sich im Wasser dreidimensional bewegen, sind dabei die beeindruckendsten Beispiele. Das Besondere ist dabei, dass nicht ein einzelnes Tier oder eine spezielle Gruppe die Führung übernimmt und es auch keine zielgerichtete Kommunikation gibt. Das teilweise erstaunlich komplexe Kollektivverhalten entsteht hingegen durch sogenannte implizite Koordination. Die einzelnen Fische treffen dabei ihre Entscheidungen auf der Grundlage dessen, was sie bei ihren Nachbarn beobachten.
Raffinierte Einheiten mit Sensorik und „Köpfchen“
So können subtile Reaktionen Einzelner zu Reaktionen der Gemeinschaft führen, die einen wichtigen Zweck zum Wohl aller erfüllen. Man spricht bei den entsprechenden Verhaltensphänomenen auch von Schwarmintelligenz. Diese Art der dezentralen, autonomen Selbstorganisation und Koordination fasziniert Wissenschaftler schon lange, vor allem im Bereich der Robotik. Es gab bereits erfolgreiche Versuche, Schwarm- beziehungsweise Gruppenverhalten durch Roboter zu simulieren. Dabei handelte es sich aber um Einheiten, die sich in einem zweidimensionalen Umfeld auf Flächen bewegten. Das Konzept der Forscher um Florian Berlinger von der Harvard University erobert nun den dreidimensionalen Raum des Wassers – es simuliert das Schwarmverhalten von Fischen.
Bei der Entwicklung der „Bluebots“ genannten Einheiten, die einen schwimmenden Roboterschwarm bilden können, orientierten sich die Wissenschaftler an den natürlichen Vorbildern: Die Roboter verfügen über Flossen und Antriebssysteme, die ihnen eine dreidimensionale Bewegung im Wasser ermöglichen. Der Clou des Systems ist allerdings die Sensorik und der künstliche „Verstand“ der Bluebots: Die Forscher entwickelten ein visuelles Koordinierungssystem, das auf blauen LED-Lampen basiert. Jeder Unterwasserroboter ist mit zwei Kameras und drei Leuchten ausgestattet. Die künstlichen „Augen“ mit Fischlinsen erkennen die LEDs der benachbarten Bluebots und verwenden dann einen speziellen Algorithmus, um deren Abstand, Richtung und Kurs zu bestimmen.
Simulierte Schwarmintelligenz
Die Forscher konnten durch Versuche in Wasserbecken zeigen, dass der Schwarm durch bestimmte Verhaltensanweisungen komplexe selbstorganisierte Verhaltensweisen zeigen kann, einschließlich einer Zusammenballung, Auflockerung der Gruppe und einer Kreisbildung. “Jeder Bluebot reagiert implizit auf die Positionen seiner Nachbarn”, so Berlinger. “Wenn wir also wollen, dass sich die Roboter zusammenschließen, dann berechnet jeder Bluebot die Position jedes seiner Nachbarn und bewegt sich in Richtung Zentrum. Wenn gewünscht ist, dass sich die Roboter zerstreuen, können die Bluebots die gegenteilige Reaktion zeigen. Und wenn wir wollen, dass sie als Schwarm in einem Kreis schwimmen, können sie so programmiert werden, dass sie den Lichtern direkt vor ihnen im Uhrzeigersinn folgen”, erklärt der Wissenschaftler.
Die Forscher simulierten durch ihre Programmierungen von Interaktionsregeln auch eine einfache Suchmission mit einem roten Licht im Versuchsbecken. Mithilfe des Dispersionsalgorithmus schwärmten die Bluebots dabei zunächst aus, bis einer nahe genug an die Lichtquelle herankommen war, um sie zu erkennen. Nach dem Fund begannen die LEDs dieses Fisch-Roboters dann zu blinken, was den Aggregationsalgorithmus im Rest des Schwarms auslöste. Anschließend versammelten sich alle Bluebots um den signalgebenden Roboter und das zu findende Licht. “Unsere Ergebnisse mit Blueswarm stellen damit einen wichtigen Meilenstein in der Erforschung von selbstorganisiertem kollektivem Verhalten unter Wasser dar”, resümiert Co-Autor Nagpal von der Harvard University.
Potenzial des Konzepts sehen die Forscher vor allem bei Erkundungsmissionen: “Die Erkenntnisse aus dieser Forschung können helfen, Miniatur-Unterwasserschwärme zu entwickeln, die Umweltüberwachung und -erkundung in visuell komplexen und empfindlichen Umgebungen wie Korallenriffen durchführen können“. Berlinger ergänzt dazu: “Autonome Roboterschwärme können auch in Bereichen hilfreich sein, die unzugänglich oder gefährlich sind – in denen ein menschliches Eingreifen vielleicht nicht möglich ist und wo etwa GPS und WiFi nicht verfügbar sind“ so Berlinger. Daneben steckt in dem Konzept auch Potenzial für die biologische Forschung, betonen die Wissenschaftler: Der Ansatz ebnet auch einen Weg, um Fischschwärme besser zu verstehen, indem wir ihr Verhalten künstlich nachbilden”, sagt Nagpal.
Video: Harvard John A. Paulson School of Engineering and Applied Sciences
Quelle: Harvard John A. Paulson School of Engineering and Applied Sciences, Fachartikel: Science Robotics, doi: 10.1126/scirobotics.abd8668