Bei großen Sportereignissen wie den Olympischen Spielen werden die Blut- und Urinproben tausender Athletinnen und Athleten untersucht, um mögliche Hinweise auf Doping zu finden. Doch die Kapazitäten für die Auswertung sind begrenzt, sodass die Kontrollen lückenhaft bleiben. Abhilfe schaffen könnte nun eine Software, die mit Hilfe künstlicher Intelligenz automatisiert nach Auffälligkeiten in den Proben sucht. Da sie frühere Urinproben der gleichen Personen als Referenz nutzt, könnte sie den Forschenden zufolge auch Fällen auf die Spur kommen, in denen Proben ausgetauscht wurden.
Während der Olympischen Spiele in Paris wurden bislang nur sehr wenige Fälle von Doping bekannt. Doch bedeutet das, dass der Wettbewerb tatsächlich weitgehend „sauber“ ist? Oder sind die Kontrollen unzureichend? Bei früheren Olympischen Spielen hat sich häufig erst im Nachhinein herausgestellt, dass viele Medaillengewinner verbotene leistungssteigernde Substanzen eingenommen hatten. Zudem werden längst nicht alle Urinproben auch auf alle denkbaren Substanzen hin untersucht. Für viele Dopingmittel schreibt das offizielle Protokoll der Weltdopingagentur (WADA) wegen des verhältnismäßig hohen Aufwands nur stichprobenartige Überprüfungen vor. Auch bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 wird kritisiert, dass die Kapazitäten zur Auswertung der Tests nicht ausreichen, um schwarze Schafe zuverlässig und schnell zu identifizieren.
Kapazität für menschliche Überprüfung zu gering
Ein Team um Maxx Richard Rahman von der Universität des Saarlandes hat nun auf der International Joint Conference on AI in Südkorea eine Software vorgestellt, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz auswerten soll, welche Urintests nicht dopingverdächtig sind und welche einer näheren Analyse durch Menschen unterzogen werden sollten. „Bisher werden alle Proben händisch ausgewertet“, erklärt Rahmans Kollege Wolfgang Maaß. Dadurch zieht sich die ohnehin unvollständige Auswertung üblicherweise über Wochen – und ist erst lange nach Ende des jeweiligen Sportereignisses abgeschlossen.
Ein weiteres Problem: Wenn gedopte Sportlerinnen und Sportler ihre eigenen Urinproben gegen „saubere“ Proben einer anderen Person austauschen, sind die Laborwerte unauffällig. Auf diese Weise blieb bei den Olympischen Winterspielen in Sotchi 2014 das Doping des russischen Teams zunächst unentdeckt. Nur DNA-Analysen können bisher nachweisen, ob eine Probe tatsächlich von der Person stammt, die vorgibt, sie abgegeben zu haben. „Das ist aber teuer und zeitaufwändig“, sagt Maaß. Als Standardverfahren für alle Proben eignet sich das Verfahren daher nicht.
Auswertung mit Künstlicher Intelligenz
Rahman und Maaß haben gemeinsam mit ihrem Team daher einen anderen Ansatz entwickelt. „Das ganze Problem schreit quasi nach maschineller Auswertung“, sagt Maaß. Die Forschenden haben eine Software entwickelt, die automatisiert, schnell und kostengünstig die Daten aus Urinproben analysieren kann. „Bei Dopingtests werden die Konzentrationen und Verhältnisse verschiedener Steroide gemessen und auf Schlüssigkeit überprüft“, erklärt Maaß. Die KI-Software vergleicht diese Daten mit früheren Testergebnissen der gleichen Person. Dabei genügen dem Programm bereits drei Proben, um zu lernen, welche Konzentrationen einzelner Stoffe für den jeweiligen Sportler typisch sind.
Die Software vergleicht dann die neuen Messwerte mit früheren Ergebnissen. Stimmt alles überein, stuft sie die Probe als unauffällig ein. Nur Proben, die Abweichungen im gängigen Muster zeigen – etwa, weil die Person gedopt hat oder weil die Urinprobe durch die einer anderen Person ersetzt wurde – werden dann zur menschlichen Überprüfung weitergeleitet. „Dieser kleine Rest kann dann von den Biochemikern im Labor genauer per DNA-Analyse untersucht werden“, sagt Maaß.
Experimente mit realen Datensätzen haben gezeigt, dass die Software tatsächlich zuverlässig Unschuldige aussortiert und auf diese Weise helfen kann, den Fokus auf begründete Verdachtsfälle zu legen. „Jemand, der seine Leistung mit einer Substanz gesteigert hat, die über den Urin nachweisbar ist, kann mithilfe unserer Software ziemlich sicher gefunden werden“, sagt Maaß. Die Forschenden hoffen, dass ihr System in Zukunft dabei helfen kann, Dopingsündern besser und schneller auf die Spur zu kommen.
Quelle: Maxx Richard Rahman (Universität des Saarlandes) et al., International Joint Conference on Artificial Intelligence, IJCAI, 2024