“Des Rätsels Lösung kann nur die Einbettung des Standardmodells in eine umfassendere Theorie aller Teilchen und ihrer Wechselwirkungen sein”, meint Murray Gell-Mann, der “Erfinder” der Quarks. Schon Albert Einstein und Werner Heisenberg hatten von einer allumfassenden Weltformel mit bestechender Klarheit und Schönheit geträumt. Aus dem Traum wurde nichts – beide sind gescheitert.
Allumfassende Klarheit und Schönheit – für den Physiker heißt das “Symmetrie”. Eine Theorie, die das Zeug zur Weltformel haben will, muß perfekt symmetrisch sein: Die mathematischen Gleichungen dürfen sich bei bestimmten Transformationen nicht ändern. “Wenn man das Labor um einen bestimmten Winkel dreht, ändert sich nichts an der Physik”, erklärt Gordon Kane von der University of Michigan die einfachste aller Symmetrien. Doch so leicht, wie es sich die Physiker vorstellen, macht es ihnen die Natur nicht. Schon bei einer Spiegelung des Labors ist die schöne Symmetrie dahin: Während für die elektromagnetische Kraft alles beim alten bleibt, verändert sich die schwache Wechselwirkungskraft.
Die Physiker wären schon froh, wenn sie zunächst einmal nur die Kräfte, die zwischen den Materieteilchen wirken, mit einer einzigen Formel erklären könnten. Den Anfang machte im letzten Jahrhundert James Clerk Maxwell, der mit einem genialen mathematischen Trick die elektrische und die magnetische Kraft zu einer einzigen, der elektromagnetischen Kraft, zusammenführte. Für die anderen Kräfte – die starke und die schwache Kraft, ganz zu schweigen von der Gravitationskraft – ist das nicht so einfach: Jede wird durch andere Ladungen erzeugt, ihre Stärken sind verschieden, und sie variieren mit dem Abstand ganz unterschiedlich.
Mit dem Standardmodell haben es die Physiker immerhin geschafft, die schwache Kraft so mit der elektromagnetischen Kraft zu verknüpfen, daß sie sich aus einer Kraft errechnen lassen. Die Einheit der elektroschwachen Kraft wird durch zahlreiche Experimente – vor allem am CERN-Beschleuniger LEP – untermauert.
Bei der Vereinheitlichung der übrigen Kräfte sind die Physiker hauptsächlich auf ihr mathematisches Können angewiesen. Denn diese Vereinigung wird man selbst mit den stärksten Beschleunigern nie direkt messen können, da sie in einem Inferno kurz nach dem Urknall stattfand. Um auch noch die starke Kraft unter das gemeinsame Dach zu bringen, postulieren die Theoretiker eine einzige, perfekt symmetrische “Urkraft”. Bei der Abkühlung des Universums wurde die Symmetrie gleich mehrfach gebrochen, und es kristallisierten sich die heute bekannten vier Grundkräfte heraus.
Ein Beispiel aus dem Alltag mag eine solche Symmetriebrechung verdeutlichen: Man stelle sich einen Topf vor, der einen ideal glatten und gleichmäßigen oberen Rand hat, und der mit Wasser gefüllt wird. Ist der Topf randvoll, wird das Wasser an irgendeiner Stelle spontan überlaufen – an welcher, ist nicht vorhersagbar. Das zunächst völlig symmetrische System Topf/Wasser ist nun gebrochen, eine bestimmte Richtung wurde bevorzugt. Erwärmt man den Topf und verdampft das übergelaufene Wasser, wird die Symmetrie wiederhergestellt. Bei hohen Energien ist der Wassertopf in einem symmetrischen Zustand, bei niedrigen Energien wird die Symmetrie gebrochen. Ganz analog stellen sich die Theoretiker die Symmetriebrechung bei der Entstehung der Grundkräfte kurz nach dem Urknall vor.
Doch die Vereinheitlichung der Kräfte ist nur die halbe Miete. Die Physiker suchen nach Symmetrien, die nicht nur die Kräfte in ein einheitliches Schema pressen, sondern auch die Teilchen. Zunächst lag es nahe, eine Symmetrie zwischen den sechs Quarks und den sechs Leptonen zu postulieren, die im Standardmodell in den ersten beiden Gruppen eingeordnet sind. Die “Grand Unified Theory” (GUT), deren erste Form Anfang der siebziger Jahre aufgestellt wurde, beinhaltet die Möglichkeit, daß Quarks in Leptonen überführt werden können und umgekehrt.
Dies hätte jedoch eine folgenschwere Konsequenz: Es könnte passieren, daß sich ein Quark im Inneren eines Protons oder Neutrons spontan in ein Lepton umwandelt – zum Beispiel ein D-Quark in ein Positron. Das Proton zerfiele dadurch in ein Positron und ein neutrales Pion – eine beängstigende Vorstellung, denn damit wäre die gesamte Materie im Universum nicht mehr stabil.
Auch wenn die SUSY-Theorie viel erklären kann – als “Weltformel” bleibt sie einiges schuldig. So paßt trotz aller Anstrengungen die Gravitation immer noch nicht so recht in das symmetrische Gebäude. Deshalb gehen viele Theoretiker einen Schritt weiter und arbeiten an der radikalen Theorie von den Superstrings. Dabei sind die Teilchen keine Punkte, sondern winzige Schleifen, ähnlich wie die Saiten einer Geige. Sie haben eine Grundschwingung und Obertöne, die den einzelnen Teilchen entsprechen. Murray Gell-Mann setzt große Hoffnungen in die Superstring-Theorie: “Zum ersten Mal in der Geschichte”, meint er, “verfügen wir über einen ernstzunehmenden Vorschlag für eine einheitliche Theorie sämtlicher Elementarteilchen und ihrer Wechselwirkungen – und damit letztlich aller Naturkräfte.” Ob er recht hat, werden vielleicht erst unsere Enkel entscheiden können.