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Hirn-Computer-Schnittstelle nutzt mentale Handschrift

Hoffnung für Gelähmte

Hirn-Computer-Schnittstelle nutzt mentale Handschrift
Künstlerische Darstellung des Prinzips der Umsetzung von Hirnaktivität in Text. (Bild: Image courtesy of Shenoy lab & Erika Woodrum)

Mit einer neuen Technologie haben Forscher einem gelähmten Patienten ermöglicht, allein mit seinen Gedanken zu schreiben – und zwar ähnlich schnell, wie nicht gelähmte Gleichaltrige auf einem Smartphone tippen. Der Proband stellte sich dazu vor, er würde Buchstaben per Hand schreiben. Elektroden in seinem Gehirn leiteten die Signale an eine Software weiter, die daraus in Echtzeit Text auf einem Bildschirm erzeugte. Der Ansatz könnte in Zukunft weiteren gelähmten, sprachunfähigen Patienten helfen, ihre Kommunikationsfähigkeiten zurückzuerlangen.

Schlaganfälle im Bereich des Hirnstamms, Krankheiten wie amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und Verletzungen der Halswirbelsäule können dazu führen, dass Betroffene zwar noch bei vollem Bewusstsein sind, sich aber nicht mehr bewegen und nicht mehr sprachlich äußern können. Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer können solchen Personen helfen, wieder Kontakt zur Außenwelt zu erlangen. Für einige Technologien genügen auf die Kopfhaut geklebte Elektroden, andere, präzisere Verfahren nutzen ins Gehirn implantierte Elektroden.

Elektroden im Gehirn

Ein Team um Francis Willett von der Standford University hat nun eine neue Technologie entwickelt, die es so schnell wie nie zuvor ermöglicht, Gedanken in geschriebenen Text umzusetzen. Während frühere Systeme darauf setzten, dass ein Patient sich vorstellt, Buchstaben auf einem Bildschirm anzuklicken, wertet die neue Software die Signale aus, die entstehen, wenn der Patient sich vorstellt, per Hand zu schreiben. „Wir haben festgestellt, dass komplizierte Bewegungen, die wechselnde Geschwindigkeiten und gekrümmte Bahnen wie Handschrift beinhalten, von unseren Algorithmen der künstlichen Intelligenz leichter und schneller interpretiert werden können als einfachere Bewegungen, wie das Bewegen eines Cursors auf einem geraden Weg mit gleichmäßiger Geschwindigkeit“, erklärt Willett. „Die Buchstaben des Alphabets sind so verschieden voneinander, dass die Signale für den Computer leichter zu unterscheiden sind.”

Proband in der aktuellen Studie war ein zum Zeitpunkt der Versuche 65-jähriger Mann, der seit einer Rückenmarksverletzung im Jahr 2007 vom Hals abwärts gelähmt ist. Bereits für eine frühere Studie hatte er sich zwei kleine Chips mit jeweils 100 Elektroden ins Gehirn implantieren lassen, die Signale von Neuronen im motorischen Kortex aufnehmen – genau aus der Region, die die Handbewegungen steuert. Diese Elektroden in seinem Gehirn nutzten Willett und Kollegen nun auch für ihre neue Technologie.

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Neuer Geschwindigkeitsrekord

Zunächst trainierte der Proband die Software, indem er sich für vorgegebene Buchstaben mehrfach hintereinander vorstellte, er würde sie per Hand auf einen imaginären Notizblock schreiben. Auf diese Weise lernte die künstliche Intelligenz, welche Hirnsignale zu welchem Buchstaben gehören. Für den eigentlichen Versuch baten die Forscher den Probanden, mehrere Sätze abzuschreiben, die der Software bis dahin unbekannt waren. Das gelang ihm mit erstaunlicher Geschwindigkeit: Er schaffte durchschnittlich 90 Zeichen pro Minute – ähnlich viele, wie gesunde Gleichaltrige auf einem Smartphone. Damit toppte er auch den bisherigen Geschwindigkeitsrekord im Schreiben per Gehirn, den er selbst 2017 mit der Vorgängertechnologie aufgestellt hatte. Damals hatte er 40 Zeichen pro Minute getippt, indem er sich vorstellte, die Buchstaben auf einem Bildschirm anzusteuern.

Auch beim freien Schreiben war der Proband deutlich schneller als mit früheren Technologien. Die Fehlerquote lag bei etwa einem falsch erkannten Buchstaben pro 18 oder 19 Zeichen beim Abschreiben von Sätzen und einem Fehler pro 11 oder 12 Zeichen beim freien Schreiben. Zum Ausgleich bauten die Forscher eine Autokorrekturfunktion ein – ähnlich der, die in Smartphones verwendet wird. Das senkte die Fehlerrate auf unter 1 Prozent beim Kopieren und etwas über 2 Prozent beim freien Schreiben – sehr niedrige Werte im Vergleich zu bisherigen Hirn-Computer-Schnittstellen.

Intuitive Kommunikation für gelähmte Menschen

Beachtlich sind die Ergebnisse insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Proband aufgrund seiner Lähmung seit mehr als zehn Jahren nicht mehr per Hand geschrieben hat. „Diese Studie zeigt, dass das Gehirn seine Fähigkeit behält, feine Bewegungen zu beschreiben – ein ganzes Jahrzehnt, nachdem der Körper seine Fähigkeit verloren hat, diese Bewegungen auszuführen“, sagt Willett.

In Zukunft wollen die Forscher die Technologie auch mit weiteren Patienten testen, die durch Krankheit oder Verletzung ihre Fähigkeit verloren haben, zu sprechen oder sich zu bewegen. „Ein wichtiges Ziel unserer Forschung ist die Wiederherstellung einer schnellen, intuitiven Kommunikation für Menschen mit schweren sprachlichen oder motorischen Beeinträchtigungen“, sagt Co-Autor Leigh Hochberg von der Brown University in Rhode Island. „Die Demonstration der schnellen, präzisen neuronalen Dekodierung von Handschrift markiert ein aufregendes neues Kapitel in der Entwicklung von klinisch nützlichen Neurotechnologien.“

Quelle: Francis Willett (Stanford University) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-021-03506-2

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