Der 25-jährige Amerikaner Matt Nagle war 2004 der erste Patient, dem Neurologen von der Brown University im US-Staat New York ein Gehirnimplantat einpflanzten, um seine Gedanken in Bewegungen zu übersetzen. Der gelähmte Mann konnte mit dieser neuromotorischen Prothese den Mauszeiger eines Computers bedienen und so E-Mails lesen und das Programm seines Fernsehers wechseln ( bild der wissenschaft 12/2006, “Chip liest Gedanken”).
2012 gelang dem New Yorker Ärzte-Team ein weiterer Durchbruch: Zwei Patienten steuerten über ihr Implantat komplexe dreidimensionale Bewegungen von Roboterarmen. Eine 58-jährige Frau, die seit einem Schlaganfall vor 15 Jahren nur noch ihren Kopf bewegen konnte, lenkte einen Roboterarm zu einer Trinkflasche, ließ die Roboterhand zugreifen, führte die Flasche zum Mund und trank aus einem Strohhalm. Entwickelt hatte den Leichtbauarm das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Teuer und umstritten
Einsatzfähig im Alltag sind die Gehirn-Computer-Schnittstellen aber noch lange nicht. Die Forscher der Brown University testen ihre Implantate zurzeit in klinischen Studien an wenigen Patienten. “Es gibt viele kleine praktische Probleme, die nicht so leicht zu lösen sind”, sagt Patrick van der Smagt von der TU München. Der Experte für Maschinenlernen leitete 2012 den robotischen Teil des Versuchs mit der Trinkflasche. Für die schwerstbehinderten Patienten ist es schwierig, zu den Versuchen zur Universität zu kommen, außerdem lässt die Signalqualität mit der Zeit nach, weil sich um die Implantate Narbengewebe bildet. Dazu kommt: Die Forschung an den Implantaten ist sehr teuer. Der Eingriff ins Gehirn ist ethisch umstritten und kommt bislang nur für wenige Patienten infrage, etwa für solche mit der Nervenkrankheit ALS. Und es besteht Infektionsgefahr, da der Chip durch ein Loch in der Schädeldecke mit dem Computer verbunden ist. Drahtlose Implantate testen die US-Forscher noch im Tierversuch.
Die größte Schwierigkeit ist, die elektrischen Signale im Gehirn – die Gedanken – richtig zu übersetzen. Der an der Brown University entwickelte Chip nimmt die Signale von Nervenzellen im Motorcortex auf, der für die Bewegung zuständig ist. Eine Software dekodiert die elektrischen Impulse und wandelt sie in Befehle für das angeschlossene Gerät um.
Der Computer liest die Nervensignale
Die Brown-Forscher haben dabei im vergangenen Jahr ein großes Hindernis überwunden. Bislang musste das Zusammenspiel von Gehirn und Computer vor jedem Versuch mühsam neu “geeicht” werden. Der Computer musste die Sprache der Gedanken quasi jedes Mal neu lernen. Und weil sich die Nervensignale nach einigen Stunden, manchmal auch schon nach Minuten, stark verändern, musste der Computer immer wieder neu kalibriert werden – ein Vorgang, der etwa eine halbe Stunde dauert.
Doch das Team hat eine neue Software entwickelt, die die Signale laufend analysiert und die Steuerung automatisch nachjustiert. Die Versuchspersonen können nun mehrere Stunden lang Texte verfassen, ohne zwischendurch eine Pause machen zu müssen. Matt Nagle kann von den Fortschritten beim Gedankenlesen allerdings nicht profitieren. Er starb bereits 2007.