Extrem langsam tanzen sie zu Boden: Nach dem Vorbild von geflügelten Pflanzensamen haben Forscher sandkorngroße Mikroflieger entwickelt, die mit elektronischen Elementen ausgerüstet werden können. Ihr Potenzial liegt dabei in der Untersuchung der Luft: Durch den verzögerten Sinkflug können die Winzlinge optimal Messdaten sammeln. Ihre Komponenten könnten sich zukünftig auch aus biologisch abbaubaren Materialien herstellen lassen, sodass die Umwelt nicht mit Elektronikmüll belastet wird, sagen die Wissenschaftler.
Die propellerförmigen Gebilde der Ahornbäume sind wohl das berühmteste Beispiel: Die Samen einiger Pflanzenarten besitzen aerodynamisch angepasste Strukturen, durch die sie sich besonders lange in der Luft halten können. Dabei entstehen Drehbewegungen, die für mehr Luftwiderstand und eine Stabilisierung beim Sinkflug sorgen. Durch dieses Design erhöhen die Pflanzen ihr Ausbreitungspotenzial. “Die Evolution war die treibende Kraft für die ausgeklügelten aerodynamischen Eigenschaften vieler Samenarten”, sagt John Rogers von der Northwestern University in Evanston. “Diese biologischen Strukturen sind so konzipiert, dass sie langsam und kontrolliert fallen, damit sie möglichst lange mit den Windmustern interagieren können. Diese Eigenschaft maximiert die laterale Verteilung über rein passive, luftgetragene Mechanismen”, erklärt der Forscher. Das technische Potenzial dieses Naturpatents liegt damit geradezu auf der Hand und so widmeten sich Rogers und seine Kollegen einer Umsetzung.
Raffiniert tanzende Mikroflieger
Sie studierten dazu zunächst die natürlichen Vorbilder: Sie analysierten den Aufbau und die aerodynamischen Eigenschaften von verschiedenen geflügelten Pflanzensamen. Als ideale Vorbilder für eine technische Umsetzung stellten sich dabei die Samen der tropischen Tristellateia-Pflanzen heraus. Sie besitzen sternförmige Flügelstrukturen, die eine Drehbewegung vermitteln, wodurch der Same langsam zu Boden sinkt. “Wir haben dieses Designkonzept aufgegriffen, angepasst und auf elektronische Schaltkreisplattformen übertragen”, sagt Rogers. Um dabei eine ideale Struktur zu ermitteln, führten die Wissenschaftler Computermodellierungen der Luftströmungen um verschiedene Prototypen durch.
Dies führte zu Mikrofliegern mit drei Flügeln, die in Form und Winkel denjenigen der Tristellateia-Samen ähneln. Wie die Forscher berichten, können sie in verschiedenen Größen und Versionen hergestellt werden. Sie bestehen dabei neben den Flugmembranen aus elektronischen Funktionskomponenten, die bis in die Flügel reichen können. Das Gewicht ist jeweils so verteilt, dass das Gebilde eine stabile Rotationsbewegung in der Luft vollführt und dadurch verzögert und kontrolliert zu Boden sinkt. Wie die Forscher berichten, stellen ihre Mikroflieger das natürliche Vorbild dabei sogar in den Schatten: Sie tanzen auf stabileren Flugbahnen und mit geringeren Geschwindigkeiten zu Boden als die Samen. „Wir waren auch in der Lage, diese Hubschrauber-Flugstrukturen viel kleiner herzustellen als die natürlichen Vorbilder”, sagt Rogers. Die kleinsten Versionen sind dabei nur so groß wie ein Sandkorn.
Potenzial für die Umweltanalytik
Für die Fertigung stellen die Forscher zunächst flache Vorläufer der fliegenden Strukturen her. Anschließend werden diese platten Rohlinge auf ein leicht gedehntes Gummisubstrat geklebt. Wenn das Material dann entspannt wird, kommt es zu einem kontrollierten Knickprozess, durch den die Flügel in genau definierte dreidimensionale Formen klappen, erklären die Wissenschaftler. “Diese Strategie des Aufbaus von 3D-Strukturen aus 2D-Vorstufen ist sehr praktisch, da alle bestehenden Halbleiterbauelemente in planaren Layouts hergestellt werden können”, so Rogers.
Die Mikroflieger können dadurch mit raffinierter Mikrotechnik ausgestattet werden. Bei den bisherigen Beispielen haben die Wissenschaftler Sensoren, Datenspeicher und eine Antenne eingebaut, die Daten drahtlos an Empfängergeräte übertragen kann. Zudem ist es möglich, eine Stromquelle zu integrieren, die aus Licht Energie gewinnt. Die Forscher demonstrierten in Versuchen, dass die Mikroflieger beispielsweise Partikel in der Luft detektieren können. Die konkrete Anwendung der Technik stellen sie sich in einem großen Maßstab vor: Man könnte einen Schwarm der Mikroflieger aus einem Flugzeug oder einem Gebäude abwerfen und sich weiträumig verteilen lassen, um etwa die Umweltsanierungsmaßnahmen nach einem Chemieunfall zu überwachen oder die Luftverschmutzung in verschiedenen Höhenlagen einer Stadt zu messen.
Dabei ergibt sich allerdings ein Problem, räumen die Forscher ein: Die elektronischen Winzlinge würden nach dem Einsatz die Umwelt belasten. Doch offenbar gibt es dafür eine Lösung, an der die Forscher nun arbeiten: Es ist möglich, viele elektronische Elemente aus biologisch abbaubaren Substanzen herzustellen. Erst kürzlich haben Forscher etwa einen Herzschrittmacher vorgestellt, der sich nach seinem Dienst von selbst im Körper auflöst. “Wir wollen für unsere Technik nun auch abbaubare Polymere, kompostierbare Leiter und auflösbare Schaltkreise verwenden, die sich auf natürliche Weise in umweltfreundliche Endprodukte verwandeln, wenn sie Wasser ausgesetzt werden”, so Rogers.
Quelle: Northwestern University, Fachartikel: Nature, doi: 10.1038/s41586-021-03847-y
Credit: nature video