Die Apfelblüte beginnt! Sollte nun noch einmal Frost die empfindlichen Gebilde bedrohen, greifen viele Obstbauern zu einer paradox wirkenden Maßnahme: Sie wärmen die Blüten und Knospen durch gefrierendes Wasser – die sogenannte Frostschutzberegnung soll den Obst-Ertrag im Herbst sichern. Doch wie ist denn Kälteschutz durch Eis möglich? Auf dieses Thema hat uns Günter B. aufmerksam gemacht – vielen Dank dafür!
„Bei diesem Konzept nutz man die Wärmefreisetzung beim Phasenübergang vom flüssigen zum festen Aggregatszustand“, erklärt Jens Wünsche von der Universität Hohenheim. „Wenn Wasser auf den Blüten oder Knospen gefriert, wird diese Kristallisationswärme an die pflanzlichen Gewebe abgegeben und verhindert, dass sie kritische Minustemperaturen erreichen“, so der Experte für Obstbau. Bei der Frostschutzberegnung nutzt man somit das physikalische Grundprinzip, dass Stoffe je nach Art des Phasenübergangs entweder Energie aufnehmen oder abgeben: Für das Schmelzen muss Wärme zugeführt werden – beim Gefrieren wird dann genau die gleiche Energiemenge wieder abgegeben. Das bedeutet: Wenn die vereisten Blüten nach Abklingen des Kälteeinbruchs tauen, nimmt das Wasser die bei der Vereisung abgegeben Wärme wieder auf. Dieser Prozess kann ihnen dann aber nicht mehr schaden.
„Ein ausreichender Wärmeeffekt entsteht durch Frostschutzberegnung allerdings nur, wenn die Eisbildung und somit die Wärmeabgabe kontinuierlich stattfindet“, betont Wünsche. Würden die Pflanzen nur einmalig benetzt, wären sie nach dem Schwinden des Wärmeeffekts sogar zusätzlich einer Verdunstungskühlung ausgesetzt, die auch bei Eis auftritt. Über den Kronen der Plantagen-Bäumchen installierte Beregnungsanlagen benetzen deshalb die Pflanzen fortlaufend. Wie Rasenbewässerungsanlagen versprühen sie das Wasser, sodass es sich an den Blüten und Knospen sammelt und dort schließlich bei einem Kälteeinbruch Schicht für Schicht gefriert. So kann der Eismantel immer weiter wachsen und ständig Wärme freisetzen.
Kristallisationswärme sichert den Obstertrag
Beim Anblick der durch die Maßnahme dick vereisten Bestände, könnte man meinen, dass auch die Pflanzenteile unter dem schimmernden Panzer durchgefroren sind – doch das ist nicht der Fall: „Eine gewisse Toleranz gegenüber Eisbildung besitzen die Zellgewebe der Knospen und Blüten, da der Zellsaft bis zu einem bestimmten Grad Frostschutz bietet“, erklärt Wünsche. Der wärmende Effekt der Frostschutzberegnung erweitert somit das Potenzial der generativen Pflanzenorgane, Minusgrade unbeschadet zu überleben und sich anschließend zu Früchten weiterzuentwickeln.
Vor allem im Apfelanbau und bei anderen Obstsorten kommt das Verfahren zum Einsatz – prinzipiell kann es aber auch zum Schutz verschiedener pflanzlicher Kulturen eingesetzt werden, wenn dafür die nötige Technik zur Verfügung steht. „Im häuslichen Garten ist Frostschutzberegnung allerdings nicht praktikabel. Man müsste ja frostgefährdete Pflanzen dazu ständig mit der Gießkanne benetzen, um die kontinuierliche Eisbildung zu gewährleisten“, sagt Wünsche.
Ihm zufolge könnte der Frostschutz im Obstbau durch den Klimawandel nun immer mehr an Bedeutung gewinnen. „Es zeichnet sich bereits ab, dass die Obstblüte durch die milden Temperaturen im Frühling immer früher beginnt. Der Klimawandel sorgt allerdings auch für Temperatur-Kapriolen – die Gefahr von Spätfrösten bleibt somit erhalten“, sagt Wünsche. Sie bedrohen dann die weitentwickelten Knospen beziehungsweise Blüten ganz besonders. Wenn die Temperaturen zu stark fallen oder der Frostschutz nicht ausreicht, ist dann mit erheblichen Ernteausfällen zu rechnen. „Genau das ist im vergangenen Jahr vielerorts passiert“, sagt Wünsche. Das Wetter der kommenden Wochen wird nun bestimmen, ob 2018 ein gutes Jahr für die deutschen Obstbauern sein wird.
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