Brillanter Farbschimmer und goldener Glanz: Forscher haben das optische Geheimnis eines Glasfundes aus der Römerzeit gelüftet. Der lange Schlummer im Boden hat demnach zur Bildung einer raffinierten Patina-Schicht geführt, zeigen die Analysen. Für die Brillanz sind dabei sogenannte photonische Kristalle verantwortlich, die offenbar durch ein Wechselspiel von Korrosion und Kristallisation entstanden sind. Die Studienergebnisse könnten damit auch aus technischer Sicht interessant sein, sagen die Wissenschaft.
Transparent, bunt und filigran: Schon in der Antike wurden elegante Gefäße aus Glas hergestellt. Die Funde besitzen dabei nicht mehr ganz die Schönheit wie in der damaligen Zeit, könnte man meinen. Doch erstaunlicherweise kann auch das Gegenteil der Fall sein: In der Archäologie ist das Phänomen bekannt, dass manche antike Glasobjekte im Verlauf der vielen Jahrhunderte einen Glanz und Schimmer entwickelt haben, den sie im Originalzustand noch nicht besaßen. Offenbar führten bestimmte Umwelteinflüsse im Boden zu oberflächlichen Materialveränderungen der Glassubstanz, die diese optischen Effekte verursacht haben.
Diesem Phänomen hat nun ein Team aus US-amerikanischen und italienischen Materialforschern eine Studie gewidmet. Wie sie berichten, stand dabei ein Besuch im Italienischen Institut für Technologie in Genua am Anfang. „Dort sorgte ein funkelndes Ausstellungsstück aus Glas im Regal für Aufmerksamkeit“, sagt Seniorautor Fiorenzo Omenetto von der Tufts University in Massachusetts. Wie er und seine Kollegen erfuhren, handelt es sich um ein Fragment eines römischen Glasobjekts, das in der Nähe der antiken Stadt Aquileia in Italien geborgen wurde. Das Glasmaterial besitzt auf der Oberfläche Strukturen, die für brillante Farbreflexe sorgen und vor allem für einen goldenen Glanz. Dadurch bekam das Fundstück den Spitznamen “Wow-Glas”.
Dem Geheimnis des Wow-Glases auf der Spur
Durch den Verdacht, dass interessante optische Materialeigenschaften den Effekten zugrunde liegen könnten, beschloss das Team, das Objekt genauer zu untersuchen. Zunächst konnten sie durch chemische Analysen winziger Materialproben Hinweise auf das Alter und die Herkunft gewinnen: Das Glasobjekt war demnach zwischen dem 1. Jahrhundert v. Chr. und dem 1. Jahrhundert n. Chr. hergestellt worden. Durch Vergleiche der Eigenschaften konnte das Team zudem belegen, dass Sand aus Ägypten die Grundlage des Glasmaterials gebildet hat. Das Hauptinteresse der Materialforscher richtete sich allerdings auf die millimeterdicke Patina, die das Objekt überzieht. Um sie zu analysieren, nutzte das Team ein neuartiges Rasterelektronenmikroskop, das nicht nur die Struktur des Materials aufdecken kann, sondern auch eine Elementaranalyse ermöglicht. “Im Grunde ist es ein Instrument, das einem mit hoher Auflösung sagen kann, woraus das Material besteht und wie die Elemente zusammengesetzt sind”, sagt Erst-Autorin Giulia Guidettia von der Tufts University.
Brillanz durch photonische Kristalle
Wie die Forscher berichten, offenbarte sich, dass das Geheimnis der optischen Qualitäten des Wow-Glases eine Struktur aus photonischen Kristallen ist. Dabei handelt es sich um raffinierte Anordnungen von Atomen, die Licht auf ganz bestimmte Weise filtern und reflektieren. “Es ist faszinierend, dass wir es hier mit Glas zu tun haben, das zwei Jahrtausende lang im Boden lag und nun ein Lehrbuchbeispiel für nanophotonische Merkmale repräsentiert”, sagt Omenetto. Konkret zeigen die Analysen: Die Patina besteht aus hochregelmäßigen, mikrometerdicken Siliziumdioxidschichten in abwechselnd hoher und niedriger Dichte. Es ähnelt damit Strukturen, die als Bragg-Stapel bekannt sind, erklären die Forscher. Jeder Schicht dieses Bragg-Stapels reflektiert dabei einen bestimmte, relativ schmalen Wellenlängenausschnitt des Lichts. Die vertikale Anordnung von Dutzenden von Bragg-Stapeln führt dann im Fall des Wow-Glases zu dem goldenen Glanz der Patina, sagen die Wissenschaftler.
Doch wie hat sich diese Struktur im Laufe der Zeit gebildet? Die Forscher gehen von einem anhaltenden Wechselspiel aus: “Wahrscheinlich liegt ein Prozess der Korrosion und des Wiederaufbaus zugrunde”, sagt Guidetti. “Der umgebende Lehm und Wasser bestimmten die Diffusion von Mineralien und eine zyklische Korrosion der Kieselsäure im Glas. Gleichzeitig erfolgte aber auch ein zyklischer Aufbau von 100 Nanometer dicken Schichten, die die Kieselsäure und Mineralien verbinden. Das Ergebnis ist dann diese unglaublich geordnete Struktur aus Hunderten von Schichten kristallinen Materials”, erklärt der Wissenschaftler.
Dem Team zufolge hat die Studie damit nicht nur ein archäologisches Phänomen beleuchtet – möglicherweise lassen sich die Einblicke auch nutzen. Denn photonische Kristall-Systeme haben eine erhebliche Bedeutung für die Entwicklung moderner Technologien. Da sie so konstruiert werden können, dass sie bestimmte Wellenlängen des Lichts blockieren und andere passieren lassen, werden sie in Filtern, Lasern, Spiegeln und Antireflexionsgeräten verwendet. Außerdem besitzen sie Potenzial bei Entwicklungen der optischen Kommunikation in Computern und über das Internet. Hinweise auf neue Materialien und Herstellungsmöglichkeiten sind deshalb wichtig. Die Einblicke in die Patina-Entwicklung bei dem antiken Glas könnten somit Hinweise liefern, wie sich spezielle photonische Kristall-Materialien züchten lassen, so die Wissenschaftler.
Quelle: Tufts University, Fachartikel: PNAS, doi: 10.1073/pnas.2311583120