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Durch Kunstmuskeln in Gang versetzt

Robotik

Durch Kunstmuskeln in Gang versetzt

Video: Noch hüpft der Prototyp des Roboterbeins nur im Kreis und ist gebunden. Doch zukünftig könnten freibewegliche Roboter mit den „muskulösen“ Beinen ausgerüstet werden. © Robotic Materials Department at MPI-IS

Von der Natur inspiriert statt motorisiert: Forschende haben erstmals ein Roboterbein entwickelt, das von elektrohydraulischen “Muskeln” angetrieben wird. Aus den Tests geht hervor, dass das System eine besonders effiziente Fortbewegung ermöglichen könnte: Das Kunstmuskel-Bein kann ohne aufwändige Sensorik souverän über verschiedene Terrains hüpfen und verbraucht im Vergleich zum Motorantrieb weniger Energie. Damit zeichnet sich erhebliches Potenzial für die Entwicklungen von Fortbewegungssystemen in der Robotik ab, sagen die Forschenden.

Schon lange stehen sie im Dienst des Menschen und wurden ständig weiterentwickelt. Doch bis heute prägt die meisten Roboter noch eine alte Grundlagentechnologie: Sie werden von Motoren angetrieben. Sogar die Bewegungselemente der von Tier und Mensch inspirierten Laufroboter basieren noch auf diesen Elementen. Deshalb sind sie den von Muskelsystemen angetriebenen Vorbildern in einigen Aspekten noch unterlegen. Bereits seit einiger Zeit wird deshalb an technischen Konzepten getüftelt, die das Naturpatent nachahmen.

Elektrohydraulische Elemente satt Motoren

Bei der Entwicklung künstlicher Muskeln konnten Forschende der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich ETH in den letzten Jahren bereits vielversprechende Ergebnisse vorweisen. Nun haben sie in Zusammenarbeit mit internationalen Kollegen die Einheiten erstmals eingesetzt, um ein Roboterbein in Bewegung zu versetzen. Wie das Team erklärt, sorgen analog zum natürlichen Vorbild dabei ein Streck- und ein Beugemuskel dafür, dass Bewegungen in beide Richtungen möglich sind. Diese als Aktuatoren bezeichneten Kunstmuskeln sind über sehnenartige Verbindungen mit dem Kunststoff-Skelett des Roboterbeins verbunden.

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Bei den Aktuatoren handelt es sich um Öl gefüllte Kunststoffbeutel. Etwa die Hälfte des Beutels ist dabei beidseitig mit einem leitfähigen Material beschichtet. Wenn nun Spannung angelegt wird, ziehen sich die unterschiedlich polarisierten Wände im oberen Teil des Beutels aufgrund der elektrostatischen Anziehungskraft zusammen. Dabei wird dann das Öl in den unteren Bereich des Beutels gedrückt, der sich dadurch aufbläht. Dies ist wiederum mit einer Verkürzung der gesamten Einheit verbunden – das System kann also für Zugspannung sorgen. Paare solcher aus mehreren Elementen bestehenden Aktuator-Einheiten können dadurch auf ähnliche Weise Bewegungen verursachen wie die Muskelsysteme bei Tieren: Wenn sich ein Muskel verkürzt, verlängert sich sein Gegenstück.

Herkömmliche Roboterbeine werden durch einen Drehmotor angetrieben (links), während beim muskuloskelettalen System elektrohydraulische Aktuatoren verwenden werden (rechts). © Thomas Buchner und Toshihiko Fukushima

Nach diesem Prinzip versetzten die Forschenden nun ihr Roboterbein über zwei Gelenkseinheiten in Bewegung. Dabei gibt ein Steuerungssystem, das mit einem Spannungsgeber verbunden ist, vor, welche Aktuatoren sich zusammenziehen und welche sich verlängern sollen. Wie aus Versuchen mit dem Prototyp des Systems hervorgeht, kann das Roboterbein sehr schnelle und kraftvolle Bewegungen ausführen, die für eine hüpfende Fortbewegungsweise sorgen.

Agil und energieeffizient

Die Forschenden konnten auch zeigen, dass sich das System durch die hohe Elastizität des künstlichen Muskelsystems spontan an Veränderungen des Untergrunds anpassen kann. „Das ist auch bei Lebewesen der Fall: Wenn wir zum Beispiel unsere Knie nicht beugen können, haben wir große Schwierigkeiten, auf einer unebenen Oberfläche zu gehen“, sagt Seniorautor Katzschmann von der ETH. Bei einem Elektromotor müsste ein Sensor dem Elektromotor ständig mitteilen, in welchem Winkel sich das Roboterbein befindet. Das künstliche Muskelsystem kann sich dagegen durch die Interaktion mit der Umgebung flexibel anpassen, erklären die Forschenden.

Das elektrohydraulische Konzept kann außerdem bei der Energieeffizienz punkten, berichtet das Team. Vor allem kann es dabei im Ruhezustand Energie sparen, verdeutlichten die Untersuchungen. „Auf einem Infrarotbild sieht man schnell, dass das Motorbein viel Energie verbraucht, wenn es in einer gebeugten Position gehalten werden muss“, sagt Erst-Autor Thomas Buchner von der ETH. Denn für die Stellungshaltung muss Strom durch den antreibenden Gleichstrommotor fließen, wodurch Energie in Form von Wärme verloren geht. Im Gegensatz dazu bleibt die Temperatur im elektrohydraulisch angetriebenen Bein gleich. Das liegt daran, dass der künstliche Muskel elektrostatisch funktioniert und keinen Stromfluss benötigt.

Die Forschenden betonen allerdings, dass ihr Konzept sich noch in einer frühen Entwicklungsphase befindet. Denn bisher ist das Bein an einer Stange befestigt, hüpft im Kreis und kann sich noch nicht frei bewegen. Dennoch zeichnen sich ihnen zufolge bereits Nutzungsmöglichkeiten in der Robotik ab. „Unsere Publikation verdeutlicht, wie viel Potenzial für bahnbrechende Innovationen in der Einführung neuer Hardware-Konzepte liegt – wie im Fall des Einsatzes künstlicher Muskeln“, sagt Co-Autor Christoph Keplinger vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart. Dazu ergänzt Katzschmann: „Wenn wir die Technologie des Roboterbeines zu einem vierbeinigen Roboter oder einem humanoiden Roboter mit zwei Beinen kombinieren, können wir es eines Tages, sobald es batteriebetrieben ist, auch als Rettungsroboter einsetzen“, hofft der Wissenschaftler.

Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Fachartikel: Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-024-51568-3

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