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Digitale Zwillinge in der Kultur

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Digitale Zwillinge in der Kultur
Das HLRS ist ein wissenschaftlicher Hotspot für Visualisierung und virtuelle Realität. Diese Expertise will das Media Solution Center Baden Württemberg für Kunst- und Kulturschaffende nutzbar machen, um kreative Synergien zu schaffen.

von THOMAS BRANDSTETTER

Im Zuge des rasanten technologischen Fortschritts und der allgegenwärtigen Digitalisierung kommt mit der E-Culture ein neuer Kulturzweig auf den Weg. Er entsteht aus der Verbindung von Wissenschaft und Kunst und nutzt dabei auf kreative Weise die neuen Möglichkeiten, die ihr die Weiterentwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologien bieten. Über die Produktion von Animationsfilmen und Computerspielen hinaus ergibt sich daraus auch das Potenzial, Theaterbühnen wie dem Schlosstheater Ludwigsburg oder der Staatsoper Stuttgart neues Leben einzuhauchen – oder sie in Form eines digitalen Zwillings gleich ganz in die virtuelle Realität zu verlagern.

Das HLRS hat das Media Solution Center (MSC) Baden Württemberg 2018 gemeinsam mit der Hochschule der Medien und dem Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe gegründet, um sich mit der Kultur- und Kreativwirtschaft zu vernetzen. Dabei wird es vom Landesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst gefördert. „Es ist bezeichnend, dass wir hier in Baden-Württemberg Wissenschaft, Forschung und Kunst in einem Ministerium haben“, sagt MSC-Geschäftsführer Matthias Hauser. „Das macht deutlich, dass wir in ein neues Zeitalter kommen, in der Kultur- und Kreativwirtschaft die Wissenschaft immer mehr in die Gesellschaft tragen.“ In seiner Vision von E-Culture arbeiten Wissenschaftler und Künstler vom ersten Tag eines neues Projektes auf Augenhöhe zusammen. „Man kann heutzutage Wissenschafts- und Kulturthemen nicht mehr einzeln betrachten, sondern muss immer den Gesamtkontext sehen“, ist Hauser überzeugt.

Neues Leben fürs historische Theater

Ein aktuelles Beispiel für ein solches interdisziplinäres Projekt ist die Digitalisierung des Schlosstheaters Ludwigsburg. „Ziel ist es einerseits, den historischen Ist-Zustand in Form eines digitalen Zwillings festzuhalten“, erklärt Hauser. Schließlich verfügt das historische Theater über die älteste noch funktionstüchtige Bühnenmaschinerie der Welt. Sie erlaubt es seit dem 18. Jahrhundert, mit einer raffinierten Konstruktion aus Holz und Seilen die gesamte Bühnentechnik per Muskelkraft zu bedienen. „Andererseits wollen wir in der digitalen Version auch ausprobieren, wie wir dem Publikum neue Seh- und Hörerlebnisse bieten können“, sagt Hauser. „Auf diese Weise können wir dieses historische Gebäude mit neuem Leben füllen, ohne es zu gefährden.“

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Die technische Leitung für die Erstellung des digitalen Zwillings liegt bei der Abteilung für Visualisierung am HLRS. „Dabei geht es um deutlich mehr als um ein einfaches 3D Modell“, sagt Abteilungsleiter Uwe Wössner. „Auch Funktionalität und Simulationen gehören dazu.“ Als Grundlage dafür haben Wössner und sein Team zunächst mithilfe eines Laserscanners den gesamten Innenraum des Gebäudes millimetergenau vermessen. Das Gerät erfasst automatisch in jede Raumrichtung den Abstand zum nächsten Objekt und generiert dabei pro Scan über 40 Millionen Messpunkte. Um damit auch wirklich alle Ecken und Winkel abzubilden, mussten die Experten des HLRS den Scanner an 50 verschiedenen Stellen positionieren und die einzelnen Scans im Nachhinein zu einem kompletten Modell zusammensetzen.

In einem nächsten Schritt haben die Wissenschaftler schließlich noch die gesamte Bühnenmechanik simuliert. So gibt es in Ludwigsburg Bühnenaufbauten, die sich auf- und abklappen lassen, austauschbare Seitenwände sowie einen Wolkenwagen, der es erlaubt, Schauspieler aus den Wolken herabsteigen und wieder hochfahren zu lassen. Und weil zur Gründungszeit des Theaters keine geeigneten Motoren zur Verfügung standen, mussten komplexe Mechaniken alle auftretenden Kräfte mit Gegengewichten ausgleichen. Dadurch war es auch einer einzelnen Person in einer Art Hamsterrad möglich, die Mechanik anzutreiben. „Das alles haben wir digital nachgebildet, damit es sich auch in unserem digitalen Zwilling entsprechend bewegen lässt“, berichtet Wössner.

Alte Berichte und Simulationen

Da es von dem historischen Theater nur sehr unvollständige Pläne gibt, mussten sich die Wissenschaftler bei der Rekonstruktion der Bühnenmechanik auf Beschreibungen der Theaterstücke beziehen, die dort gespielt wurden. „Um aber Details wie die Durchmesser der Seile zu dimensionieren, haben wir auch mechanische Simulationen durchgeführt“, berichtet Wössner. „Unser digitaler Zwilling schaut also nicht nur echt aus, sondern basiert auch auf physikalischen Gleichungen.“ Das resultierende Modell ist auch die Grundlage für eine Zusammenarbeit mit Literaturwissenschaftlern, die damit mehr über Bühnenstücke erfahren wollen, die sonst nur als Texte zur Verfügung stehen. „Mit dem digitalen Zwilling können wir gemeinsam Szenen virtuell nachstellen und dann diskutieren, wie der Text tatsächlich gemeint war und wie die Zuschauer das Stück wahrgenommen haben“, sagt Wössner.

Parallel zum Schlosstheater Ludwigsburg begleiten Wössner und Hauser auch den Umbau des Staatstheaters Stuttgart mit einem digitalen Zwilling. „In Stuttgart haben wir praktisch den gesamten Innenraum der Staatsoper eingescannt“, sagt MSC-Geschäftsführer Hauser. „Das ist unter anderem interessant für die Bühnenbildner, weil sie ihre Kreationen nicht gleich bauen müssen, sondern sie zunächst am Computer erstellen und ausprobieren können.“ Dabei setzen Experten auf Anwendungen der sogenannten Augmented Reality, die die Realität vor Ort im Theater mit virtuellen Bildern überlagert.

Zu diesem Zweck haben die Techniker der Abteilung für Visualisierung in der Beleuchterkabine, die sich im hinteren Opernbereich über den Zuschauerrängen befindet, einen transparenten Bildschirm aufgebaut. Beim Blick durch dieses Display hinunter auf die Bühne erscheinen die virtuellen Bildinhalte im Sichtfeld des Betrachters. Damit die Perspektive exakt stimmt, erfasst ein optisches Messsystem auf den Millimeter genau die Position der Augen. So kann der Bühnenbildner frei experimentieren und beispielsweise das Bühnenbild verschieben sowie Teile davon nach Belieben einfügen oder wegnehmen.

Solche digitalen Techniken sind nicht nur billiger und verschlanken die Produktionsabläufe. Im Theater ist zudem gerade die Bühnenzeit oft ein limitierender Faktor. Schließlich laufen in der Regel gleich mehrere Produktionen parallel und jede davon will geprobt und für den Abend vorbereitet werden, weshalb die Bühne oft belegt ist. Anstatt sich also in der realen Welt dort zu treffen und neue Stücke zu planen, können Bühnenbauer, Regisseur, Schauspieler und Kostümschneider auch in der virtuellen Welt zusammenkommen, um sich untereinander auszutauschen.

Virtuelle Treffen in der CAVE

Im einfachsten Fall tragen für so ein virtuelles Treffen alle Beteiligten VR-Brillen. Die haben aber neben den üblichen Problemen wie einem limitierten Sichtfeld, perspektivischen Verzerrungen und der daraus resultierenden Übelkeit noch ein viel tiefer reichendes Problem. „VR-Brillen sind Ein-Personen-Anwendungen“, sagt VR-Experte Wössner. „Man ist damit alleine in der virtuellen Welt, obwohl man ja eigentlich gemeinsam mit Kollegen neue Konzepte entwickeln und diskutieren will.“ Abhilfe dafür kann die CAVE des HLRS schaffen: ein Würfel mit einer Kantenlänge von 2,70 Meter, den bis zu zehn Menschen gleichzeitig betreten können, um ein und dieselbe virtuelle Welt zu erleben. Dazu werden an die Decke, den Boden und noch drei weitere Seitenwände je zwei Bilder übereinander projiziert – eines für jedes Auge.

Die Besucher tragen dabei spezielle Brillen, die ihnen ähnlich wie in einem 3D-Kino ein räumliches Bild ihrer virtuellen Umgebung vermitteln. „In der CAVE können sich die Theatermacher zum Beispiel in den virtuellen Zuschauerraum setzen, um zu sehen, von welchen Plätzen aus welche Teile der Bühne sichtbar sind“, erläutert Wössner. „Oder sie bedienen die virtuelle Bühnenmaschinerie und probieren auf diese Weise schon einmal ihren kompletten Bühnenaufbau aus.“

Ein digitaler Zwilling taugt aber nicht bloß zum Testen der Funktionalitäten im Inneren der Stuttgarter Oper. Auch die Einbettung des gesamten Gebäudes in das Stadtbild lässt sich in der virtuellen Welt bereits vor dem gerade geplanten Umbau beurteilen. „Dazu haben wir einen großen digitalen Zwilling von Stuttgart entwickelt, der unter anderem auch die Oper mit einschließt“, stellt Wössner fest. Eine solche digitale Erfassung der Umgebung ist mittlerweile auch in der Filmindustrie ein wichtiges Instrument.

Schließlich ist eine Filmproduktion ein logistisches Großunternehmen, bei dem viele Beteiligte an mitunter sensible Orte gebracht werden müssen. Oft handelt es sich dabei um historische Stätten, wo die Gefahr einer Beschädigung besteht. Oder der Ort muss während der Dreharbeiten vorübergehend für Touristen und Passanten gesperrt werden, was nicht nur Unmut hervorrufen kann, sondern auch zu Mehrkosten führt. „Daher werden reale Hintergründe immer häufiger virtuell nachgebaut“, sagt Wössner.

Täuschend echt imitierte Filmkulisse

Im Grunde kommt dafür die gleiche Technik zum Einsatz wie beim digitalen Erfassen von Innenräumen – bloß, dass zusätzlich zum Laserscanner oft auch spezielle optische Kameras für realistische Farbinformationen sorgen. Sie nehmen Unmengen an normalen, zweidimensionalen Bildern in allen möglichen Raumrichtungen und aus verschiedenen Perspektiven auf. Eine Software errechnet daraus schließlich ein dreidimensionales Modell der Szenerie. „Solche Modelle können sehr komplex sein und auch dynamische Aspekte beinhalten, etwa Fahrzeuge und Leute, die sich bewegen“, erläutert Wössner. „Das Ziel ist, künftig immer mehr solcher digitalen Zwillinge von realen Orten zu haben, die man dann für Filmaufnahmen einfach aus der Konserve holen kann.“

Die virtuelle Umgebung wird dann in der Regel über große LED-Wände in der richtigen Perspektive hinter den Schauspielern eingeblendet. Dann sieht es so aus, als wären die Akteure direkt vor Ort.

Allerdings: Während es beim Film meist genügt, wenn die Bilder ansprechend aussehen, legen die Forscher des HLRS stets auch Wert auf Realitätsnähe. „Wenn wir Wasserströmungen simulieren, zum Beispiel während einer Überflutung, machen wir das immer physikalisch korrekt“, sagt Wössner. „Daneben gibt es auch bei den Visual Effects den Trend, dass die Simulationen immer realistischer werden.“

Wofür auch immer sie eingesetzt werden – visuelle Effekte erfordern hohe Rechenleistungen. Deshalb sind die Mitglieder des MSC aus der Film- und Animationsindustrie nicht nur an der digitalen Expertise des HLRS interessiert, sondern auch an den Höchstleistungsrechnern selbst. „Einen solchen Anschluss eines Solution Centers für die Kultur- und Kreativwirtschaft an ein Höchstleistungsrechenzentrum gibt es in Europa sonst nicht“, sagt Hauser. „Das ist ein Alleinstellungsmerkmal des MSC, das uns die Vernetzung zur Medien- und Filmindustrie erleichtert.“ 

 

Dieser Artikel ist Teil einer Sonderpublikation in Kooperation mit dem Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS). Hier finden Sie das vollständige bild der wissenschaft extra zum Download.

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