Solche digitalen Techniken sind nicht nur billiger und verschlanken die Produktionsabläufe. Im Theater ist zudem gerade die Bühnenzeit oft ein limitierender Faktor. Schließlich laufen in der Regel gleich mehrere Produktionen parallel und jede davon will geprobt und für den Abend vorbereitet werden, weshalb die Bühne oft belegt ist. Anstatt sich also in der realen Welt dort zu treffen und neue Stücke zu planen, können Bühnenbauer, Regisseur, Schauspieler und Kostümschneider auch in der virtuellen Welt zusammenkommen, um sich untereinander auszutauschen.
Virtuelle Treffen in der CAVE
Im einfachsten Fall tragen für so ein virtuelles Treffen alle Beteiligten VR-Brillen. Die haben aber neben den üblichen Problemen wie einem limitierten Sichtfeld, perspektivischen Verzerrungen und der daraus resultierenden Übelkeit noch ein viel tiefer reichendes Problem. „VR-Brillen sind Ein-Personen-Anwendungen“, sagt VR-Experte Wössner. „Man ist damit alleine in der virtuellen Welt, obwohl man ja eigentlich gemeinsam mit Kollegen neue Konzepte entwickeln und diskutieren will.“ Abhilfe dafür kann die CAVE des HLRS schaffen: ein Würfel mit einer Kantenlänge von 2,70 Meter, den bis zu zehn Menschen gleichzeitig betreten können, um ein und dieselbe virtuelle Welt zu erleben. Dazu werden an die Decke, den Boden und noch drei weitere Seitenwände je zwei Bilder übereinander projiziert – eines für jedes Auge.
Die Besucher tragen dabei spezielle Brillen, die ihnen ähnlich wie in einem 3D-Kino ein räumliches Bild ihrer virtuellen Umgebung vermitteln. „In der CAVE können sich die Theatermacher zum Beispiel in den virtuellen Zuschauerraum setzen, um zu sehen, von welchen Plätzen aus welche Teile der Bühne sichtbar sind“, erläutert Wössner. „Oder sie bedienen die virtuelle Bühnenmaschinerie und probieren auf diese Weise schon einmal ihren kompletten Bühnenaufbau aus.“
Ein digitaler Zwilling taugt aber nicht bloß zum Testen der Funktionalitäten im Inneren der Stuttgarter Oper. Auch die Einbettung des gesamten Gebäudes in das Stadtbild lässt sich in der virtuellen Welt bereits vor dem gerade geplanten Umbau beurteilen. „Dazu haben wir einen großen digitalen Zwilling von Stuttgart entwickelt, der unter anderem auch die Oper mit einschließt“, stellt Wössner fest. Eine solche digitale Erfassung der Umgebung ist mittlerweile auch in der Filmindustrie ein wichtiges Instrument.
Schließlich ist eine Filmproduktion ein logistisches Großunternehmen, bei dem viele Beteiligte an mitunter sensible Orte gebracht werden müssen. Oft handelt es sich dabei um historische Stätten, wo die Gefahr einer Beschädigung besteht. Oder der Ort muss während der Dreharbeiten vorübergehend für Touristen und Passanten gesperrt werden, was nicht nur Unmut hervorrufen kann, sondern auch zu Mehrkosten führt. „Daher werden reale Hintergründe immer häufiger virtuell nachgebaut“, sagt Wössner.
Täuschend echt imitierte Filmkulisse
Im Grunde kommt dafür die gleiche Technik zum Einsatz wie beim digitalen Erfassen von Innenräumen – bloß, dass zusätzlich zum Laserscanner oft auch spezielle optische Kameras für realistische Farbinformationen sorgen. Sie nehmen Unmengen an normalen, zweidimensionalen Bildern in allen möglichen Raumrichtungen und aus verschiedenen Perspektiven auf. Eine Software errechnet daraus schließlich ein dreidimensionales Modell der Szenerie. „Solche Modelle können sehr komplex sein und auch dynamische Aspekte beinhalten, etwa Fahrzeuge und Leute, die sich bewegen“, erläutert Wössner. „Das Ziel ist, künftig immer mehr solcher digitalen Zwillinge von realen Orten zu haben, die man dann für Filmaufnahmen einfach aus der Konserve holen kann.“
Die virtuelle Umgebung wird dann in der Regel über große LED-Wände in der richtigen Perspektive hinter den Schauspielern eingeblendet. Dann sieht es so aus, als wären die Akteure direkt vor Ort.
Allerdings: Während es beim Film meist genügt, wenn die Bilder ansprechend aussehen, legen die Forscher des HLRS stets auch Wert auf Realitätsnähe. „Wenn wir Wasserströmungen simulieren, zum Beispiel während einer Überflutung, machen wir das immer physikalisch korrekt“, sagt Wössner. „Daneben gibt es auch bei den Visual Effects den Trend, dass die Simulationen immer realistischer werden.“
Wofür auch immer sie eingesetzt werden – visuelle Effekte erfordern hohe Rechenleistungen. Deshalb sind die Mitglieder des MSC aus der Film- und Animationsindustrie nicht nur an der digitalen Expertise des HLRS interessiert, sondern auch an den Höchstleistungsrechnern selbst. „Einen solchen Anschluss eines Solution Centers für die Kultur- und Kreativwirtschaft an ein Höchstleistungsrechenzentrum gibt es in Europa sonst nicht“, sagt Hauser. „Das ist ein Alleinstellungsmerkmal des MSC, das uns die Vernetzung zur Medien- und Filmindustrie erleichtert.“
Dieser Artikel ist Teil einer Sonderpublikation in Kooperation mit dem Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS). Hier finden Sie das vollständige bild der wissenschaft extra zum Download.
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